Rhetorik drastisch gekürzt

Die Haushaltsdebatte im Abgeordnetenhaus hätte großes Theater bieten können.Doch die Akteure von Opposition und Senat hatten sichtlich keine Lust. Ein Verriss

„Sie haben das Wort ‚sozial‘ verkauft. Stattdessen betreiben Sie eine gefühllose Machtpolitik“

Das Wort Farce bezeichnet laut Fremdwörter-Duden ein „derb-komisches Lustspiel“, wahlweise auch „abgeschmacktes Getue“ oder einen „billigen Scherz“. Die Haushaltsdebatte im Abgeordnetenhaus gehörte leider nicht in die erste Kategorie.

Das Problem: Die SchauspielerInnen der gestrigen Inszenierung im Parlament hatten keine rechte Lust, ihre Rollen zu spielen. Zu einmütig hatten VertreterInnen aller Parteien zuvor erklärt, dass der pro Jahr rund 20 Milliarden Euro schwere Doppelhaushalt 2006/07 im Kern in Ordnung sei. „Manchmal sogar vergnüglich“ seien die Haushaltsberatungen gewesen, sagte der Hauptausschuss-Vorsitzende Ralf Wieland (SPD) zu Beginn der Debatte. Und „durchgängig sachlich“ obendrein.

Nur 13 Sitzungen haben die Ausschussmitglieder gebraucht, um sich auf einen Etatentwurf zu verständigen. Beim harten Doppelhaushalt 2004/05 waren es 15 Sitzungen gewesen. Die Zeit der schmerzlichsten Finanzeinschnitte ist vorüber.

Den Beteiligten war ihre Erleichterung anzumerken. Die wenigen ZuschauerInnen auf den Rängen konnten sich darüber nicht freuen. Denn die ParlamentarierInnen missachteten einen wichtigen Grundsatz jeder Inszenierung: Wenn der Inhalt in den Hintergrund tritt, muss die Schauspielerei das Publikumsinteresse reizen.

Stattdessen fasste der freundlich-blasse SPD-Fraktionschef Michael Müller zusammen, was Rot-Rot geschafft habe. Im Jahr 2007 gebe es einen ausgeglichenen Haushalt – erstmals seit der Wiedervereinigung. Biotechnologie, Verkehrstechnik und Tourismus schafften neue Jobs. Zum Aufregerthema „Die Bahn will ihren Sitz von Berlin nach Hamburg verlagern“ hatte sich Michael Müller den schönen Satz zurechtgelegt: „Es kann nicht sein, dass ein solches Unternehmen aus einer Laune heraus, auch mit Steuermitteln, einfach abwandert.“

CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer hatte es besonders schwer. „CDU lobt Sarrazin“ hatte der Tagesspiegel am Tag zuvor getitelt, nachdem der Haushaltsexperte der Union, Alexander Kaczmarek, seine Bilanz abgeliefert hatte. Wie soll man da noch glaubwürdig Kritik üben? Zimmer verlegte sich aufs Gemütvolle. Der Senat biete keine Zukunftsvisionen und habe Sozialleistungen gestrichen. „Deshalb hat Ihr Haushalt keine Seele.“

Als der CDU-Mann auch noch klagte: „Sie haben das Wort ‚sozial‘ verkauft. Stattdessen betreiben Sie eine gefühllose Machtpolitik“, nickte der Linkspartei-Abgeordnete Benjamin Hoff anerkennend und rief: „Respekt!“ Solche Sätze, sollte das wohl heißen, muss man sich erst mal trauen.

Linkspartei-Fraktionschef Stefan Liebich musste nicht alles geben, um in diesem schwachen Ensemble als wackerer Getreuer im Dienste Berlins zu brillieren. Aufzählen genügte: ausgeglichener Haushalt 2007, ab dem selben Jahr ein kostenfreies letztes Kitajahr, Verzicht auf Studiengebühren, Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr. „Seele, Herr Zimmer, hat das auf jeden Fall.“

Selbst die Allzweckwaffe der Opposition, der bekennende Bayer und FDP-Fraktionschef Martin Lindner, mochte nicht recht dreinschlagen. Zwar verlangte er wieder einmal Verkäufe landeseigener Unternehmen wie der BVG und weitere Einsparungen im öffentlichen Dienst. Doch das war altbekannt und mit weniger Verve vorgetragen als in früheren Aufführungen. Einzig bei der Kritik an der Regie des Stücks blitzte sein Können auf: Dass die Regierung das erste und letzte Wort in der Haushaltsdebatte habe, entspreche nicht seinem Verständnis von Demokratie. „Da bin ich anders sozialisiert“, sagte Lindner. Und murmelte etwas von „Staatsrat“ und „SED“ in Richtung SPD.

Jochen Esser gab für die Grünen seine Paraderolle: den knorrigen Analytiker, der den Mächtigen furchtlos die Wahrheit sagt. Bei allem Sparen hätten die Koalitionäre die Strukturreformen vergessen, klagte Esser. Und urteilte über seine Brille hinweg: „Sie kriegen den Dreiklang aus Sanierung, Reform und Investition einfach nicht hin.“

Was bei einer Oper die große Arie zum Schluss ist, war im Abgeordnetenhaus die Rede Wowereits. Ihr Leitmotiv war der Ruf ans Bundesverfassungsgericht, von dessen Urteil sich Berlin Bundeshilfen in Milliardenhöhe erhofft: „Wir brauchen Hilfe in unserer unverschuldeten Haushaltsnotlage. Aber wir tun auch selber was.“ Für KritikerInnen, die ihm vorgeworfen hatten, nichts für den Verbleib der Bahn-Zentrale getan zu haben, hatte sich Klaus Wowereit einen prägnanten Satz ausgedacht: „Ich habe so viele rote Mützen und grüne Kellen in meinem Schrank, weil ich bei jeder Gelegenheit für die Bahn werbe.“ Das war noch eine der schönsten Formulierungen dieses Tages.

Unter www.tv-koechin.de steht eine weitere Definition einer Farce: „pürierte oder fein gehackte Masse“, die „zur Füllung“ verwendet wird. Auch ganz passend. Matthias Lohre