Falschinformation unter Folter

Ibn al-Scheich al-Libi, damals ranghöchster Al-Qaida-Gefangener der USA, soll in ägyptischer Haft falsche Informationen gegeben haben, die Präsident Bush dann zur Begründung des Irakkriegs dienten. Das berichtet die „New York Times“

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Die Bush-Administration soll Informationen hinsichtlich der Verbindungen zwischen dem Irak und al-Qaida von einem an Ägypten ausgelieferten Gefangenen erhalten haben, der seine Aussagen später widerrief, weil er sie unter Zwang gemacht habe. Ibn al-Scheich al-Libi, ein ranghohes Al-Qaida-Mitglied, habe angegeben, bei seinen Vernehmungen in Ägypten gelogen zu haben, um weiteren Misshandlungen zu entgehen, berichtete die New York Times gestern unter Berufung auf heutige und frühere US-Beamte.

Der Fall ist damit der erste öffentliche Hinweis darauf, dass fehlerhafte Geheimdienstinformationen über den Irak auch eine Folge der US-Praxis der „rendition“ sein könnten, also der Überstellung von Gefangenen an Drittländer, in denen das US-Folterverbot umgangen werden kann, schrieb das Blatt. Ibn al-Scheich al-Libi soll seine detailliertesten Aussagen erst gemacht haben, nachdem er im Januar 2002 heimlich an Ägypten überstellt worden war.

Der gebürtige Libyer war Ende 2001 in Pakistan gefasst und zunächst in Afghanistan gefangen gehalten worden. Al-Libi war zu diesem Zeitpunkt der ranghöchste Al-Qaida-Gefangene der USA und hatte bei US-Befragungen allgemeine Angaben über die Beziehungen seines Terrornetzwerks zum Irak gemacht. Da die Bush-Regierung der CIA bis zum Januar 2002 keine Erlaubnis erteilte, al-Libi weiter in Haft zu behalten, überstellte ihn der Geheimdienst nach Ägypten. Erst dort habe al-Libi dann plötzlich konkrete Angaben zu angeblichen Al-Qaida-Trainingscamps im Irak mit Bomben und chemischen Waffen gemacht. Zurück in US-Haft, zog er seine Aussage im Januar 2004 zurück.

Die Tatsache, dass al-Libi seine Aussagen widerrufen hatte, nachdem die USA im Irak einmarschiert war, und dass die CIA Informationen, die auf al-Libis Aussagen beruhten, bereits im März 2004 endgültig einzog, ist seit einem Jahr bekannt. Bislang unbekannt war, dass US-Beamte angeben, dass al-Libi zur Zeit seiner Aussagen in ausländischer Haft saß und dass Libi selbst behauptet, diese Aussagen unter Zwang gemacht zu haben.

Interne Akten der Defense Intelligence Agency vom Februar 2002 bewerteten die Aussagen al-Libis als kritikwürdig. Im November freigegebene Regierungsdokumente belegen, dass der Geheimdienst al-Libis Hinweise bereits im Februar 2002 als „vorsätzlich irreführend“ eingestuft hatte.

Die Regierungsdokumente zeigen aber auch, dass die US-Regierung trotz Warnungen des Militärgeheimdienstes bei ihrer Rechtfertigung des Irakkriegs auf al-Libis Aussagen gesetzt hatte. US-Präsident George W. Bush trat acht Monate später mit den Anschuldigungen an die Öffentlichkeit, Al-Qaida-Kämpfer seien im Irak in der Herstellung von Giften und Gasen ausgebildet worden. Die fragwürdigen Informationen fanden auch Eingang in die Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.