Bremer Klage auf wackeligen Füßen

Drei Monate bevor Bremen seine Klage vor dem Verfassungsgericht einreichen will, verzichtet der Finanzsenator auf einen seiner Experten: Der früher Staatsrat Dannemann ist nicht länger „Senatsbeauftragter für überregionale Finanzbeziehungen“

Bremen taz ■ Im März des kommenden Jahres, so hat der Finanzsenator das dem Senat einmal mitgeteilt, sind die Vorbereitungen für die Verfassungsklage abgeschlossen. Ein ganzes Jahr ist nach dem Zerplatzen der Hoffnungsblase „Kanzlerbrief“ vergangen, Gutachter und Arbeitsgruppen haben gekreißt. Was dabei herausgekommen ist, darüber spricht man bisher nicht – offiziell jedenfalls. Und da läuft die Funktion des Bremer „Senatsbeauftragten für überregionale Finanzbeziehungen“ schlicht aus. Günter Dannemann, jahrelang als Staatsrat im Finanzressort federführend mit dem Thema befasst und derzeit Leiter der „Forschungsstelle Finanzpolitik“ mit Professorenjob an der Universität, war der „Senatsbeauftragte“ gewesen. „Dannemann wirft das Handtuch“, meldete der Weser Report. Er „gibt die Funktion ab“, formulierte der Weser Kurier. Gibt es dicke Luft im Hintergrund der Bremer Klagevorbereitung, an der die Zukunft Bremens hängt?

Dannemann selbst formuliert den Vorgang anders: Sein Vertrag laufe Ende 2005 aus, also in zwei Wochen, und es sei keiner an ihn herangetreten mit der Frage, ob er die Funktion weiter ausüben wolle. „Keiner“, das ist in erster Linie der Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der das hätte tun müssen. Mit der Finanzbehörde, die er jahrelang als Staatsrat geleitet hat, habe er engen Kontakt, sagt Dannemann, mit Staatsrat Henning Lühr, seinem Nachfolger, immer wieder Gespräche gehabt, nur mit dem Senator eben weniger. Und der hatte offenbar kein Interesse an dem „Senatsbeauftragten“. So oft sei er in Wirklichkeit auch nicht in dieser Funktion engagiert worden, räumt Dannemann ein.

Der Sprecher des Finanzressorts erklärt, dicke Luft gebe es nicht, die Rolle „Senatsbeauftragter“ sei vor allem im Hinblick auf Verhandlungen um den Kanzlerbrief gedacht gewesen. Und über den wird eben seit Februar 2005 nicht mehr geredet. In Wirklichkeit hatte im Vorfeld der Chef der Senatskanzlei, Reinhard Hoffmann, alle Fäden zum Kanzlerbrief in der Hand.

Dannemann fühlt sich vom kommenden Jahr an als Wissenschaftler „persönlich freier“, sagt er, „nicht mehr in die Loyalität eingebunden“. Und wenn der Bremer Senat seinen Rat wolle, werde er ihn weiterhin zur Verfügung stellen. Und? Will den jemand? Bei der Verfassungsklage geht es für Bremen nicht nur um die Frage, „welche Argumente man anführt“ – in früheren Verfahren sind alle Argumente schon mehrfach vorgetragen und bewertet worden. Sondern es geht ganz stark auch darum, „was man anbieten kann“. Sagt Dannemann, wenn man ihn fragt. In der finanzwissenschaftlichen Fachwelt ist die Ansicht verbreitet, dass bei dem gescheiterten Sanierungsversuch der Bremer Spar-Eigenbeitrag erheblich zu gering gewesen sei.

Der Bremer Senat vertritt bisher die Auffassung, dass der Städtestaat die 135 Prozent, die beim Länderfinanzausgleich als „Einwohnerwertung“ für Stadtstaaten offiziell anerkannt sind, auch als Maßstab der Ausgaben im Vergleich zu den anderen Gebietskörperschaften (Flächenländern) nehmen kann. Finanzwissenschaftler wie der von Bremen beauftragte Dresdener Gutachter Helmut Seitz und auch Dannemann gehen davon aus, dass Bremen einen deutlich höheren „Eigenbeitrag“ beim Sparen anbieten müsste – auf Jahre eben unter die 135 Prozent bei den Ausgaben gehen müsste. Ein Ausgabenniveau von 125 Prozent, sagt Seitz, wäre ein Angebot an das Verfassungsgericht. Weniger als 130 geht nicht, sagt Dannemann. Das ist ein akademischer Streit zwischen den beiden Finanzwissenschaftlern, in Wirklichkeit liegt Bremen weit darüber, schätzungsweise bei 150 Prozent. Der Haushalt 2005 dokumentiert keinen weitergehenden „Sparbeitrag“, und die Planungen für 2006/07 auch nicht. Kann man so einen Prozess gewinnen? Gutachter Seitz scheint das zu bezweifeln.

Dannemann bezweifelt viel weitgehender, dass der Spielraum des Verfassungsgerichtes, das ja nur geltende gesetzliche Normen interpretieren kann, ausreichen könnte, um die Finanzen der Stadtstaaten auf eine solide Grundlage zu stellen. Selbst ein günstiges Urteil würde für Bremen nur ein paar Jahre Aufschub bringen, ebenso für die anderen beiden Stadtstaaten, sagt er: „Wenn man das rettende Ufer erreichen will, muss man eine grundlegende Reform anstreben“ – eine Änderung des Grundgesetzes. Die politische Mehrheit hätte die Bundesregierung – ob sie die politische Kraft hat, ist die Frage. Die Bundesregierung hat jedenfalls in ihrem Koalitionsvertrag einen Passus, der Bund-Länder-Finanzverhandlungen ab 2006 vorsieht, erinnert Dannemann. Ob es da sinnvoll sein kann, gleichzeitig vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, bezweifelt der SPD-Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Volker Kröning. Weil auch andere Länder in eine Schieflage geraten, sei eine Finanzreform vor 2019 unerlässlich – „der Druck wird zunehmen“, sagt Dannemann. Aber auch der der süddeutschen CDU-Länder, die „Geber“ sind im Finanzausgleich und im Juni sogar eine interne „Arbeitsgruppe“ zum Problemfall Bremen abgelehnt haben. Klaus Wolschner