Irland demonstriert gegen Sklavenarbeit

Die Reederei „Irish Ferries“ will die Seeleute auf ihren Fähren durch billige Arbeitskräfte aus Osteuropa ersetzen. Vier Schiffe liegen fest, und 150.000 gehen gegen die Pläne auf die Straße. Der Fall offenbart eine Verquickung der Firma mit einer Zeitung

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Es war die größte Demonstration in Irland seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Am Freitag gingen mehr als 150.000 Menschen in Dublin und acht anderen irischen Städten gegen Dumpinglöhne und „Sklavenarbeit“ auf die Straße. Auslöser war ein Arbeitskampf, der im Land des „keltischen Tigers“, wie Irland seit Anfang der Neunzigerjahre aufgrund des Wirtschaftsbooms genannt wird, vermeintlich der Vergangenheit angehörte.

Die Reederei „Irish Ferries“, die Fähren zwischen Großbritannien, Frankreich und Irland betreibt, will sämtliche Angestellte – 543 Seeleute – durch ausländische Arbeitskräfte vor allem aus Osteuropa ersetzen. Sie sollen sich mit einem Stundenlohn von 3,60 Euro begnügen. Andernfalls, so argumentiert die Reederei, sei man spätestens in zwei Jahren pleite, denn der irische Mindestlohn ist mit 7,60 Euro der zweithöchste in Europa. Jack O’Connor, Generalsekretär der Gewerkschaft, bezeichnete das Verhalten von Irish Ferries als „Schurkerei, Brutalität und Gesetz des Dschungels“.

Nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen wollte Irish Ferries Fakten schaffen: Die Reederei heuerte eine Billigmannschaft an, die in Begleitung von Sicherheitspersonal, das sich als Passagiere getarnt hatte, von Wales in Richtung Dublin in See stechen sollte. Gewerkschaftsmitglieder verbarrikadierten sich jedoch im Kontrollraum und verhinderten das Auslaufen der Fähre.

Als die Tageszeitung Irish Independent vorvergangenes Wochenende berichtete, dass die Reederei erwäge, Tränengas gegen die eigenen Angestellten einzusetzen, eskalierte der Konflikt. Seit acht Tagen liegen auch die anderen drei Schiffe der Reederei in den Häfen fest, weil sie von den Arbeitern gekapert worden sind oder weil sich die Hafenarbeiter weigern, die Schiffe abzufertigen.

Merkwürdigerweise zog der Independent seine Tränengasgeschichte zwei Tage später zurück, der Autor wurde in eine andere Abteilung versetzt. Stattdessen durfte der Geschäftsführer der Reederei, Eamonn Rothwell, auf einer ganzen Zeitungsseite die Position seines Arbeitgebers darlegen. Was war geschehen? Alf McGrath, Personalchef bei Irish Ferries, war früher Personalchef beim Irish Independent. Peter Crowley, der Bruder des Independent-Geschäftsführers, ist Direktor von Irish Ferries. Und Bernard Somers sitzt sowohl beim Independent als auch bei der Reederei im Aufsichtsrat.

Wegen der Zensur beim Independent kam es zu einem Zerwürfnis mit der Journalistengewerkschaft, was dazu führte, dass die anderen Blätter am Freitag mehr oder weniger offen zur Teilnahme an der Demonstration aufriefen. Und alle kamen: Lehrer, Busfahrer, Fabrikarbeiter, Dozenten, sogar leitende Angestellte, obwohl ihnen allen der Arbeitstag vom Gehalt abgezogen wird. Es war wie auf einem Volksfest, und so mancher Ladenbesitzer servierte den Demonstranten kostenlos Erfrischungsgetränke.

Im Demonstrationszug waren auch zahlreiche Spruchbänder in Polnisch oder Litauisch zu sehen, denn Irland ist neben Großbritannien das einzige der alten EU-Länder, das keine Einwanderungssperre von sieben Jahren gegen die Menschen aus den neuen EU-Ländern verhängt hat. Peter McLoone, Präsident des Gewerkschaftsverbands, sagte an sie gerichtet: „Wir sagen laut und deutlich, dass es nicht die ausländischen Arbeiter sind, die unsere Löhne drücken und für die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sorgen. Es sind die Arbeitgeber, die uns ausbeuten.“

Die Gewerkschaften waren von der Teilnehmerzahl an den Demonstrationen selbst überrascht. Offenbar ist ihr Argument, dass es bei Irish Ferries um weit mehr als die Jobs von 543 Matrosen gehe, auf offene Ohren gestoßen. Sie glauben, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen werden soll. Kommt die Reederei damit durch, werden andere Unternehmen nachziehen und ausländische Arbeiter zu Dumpingpreisen einstellen – auch in anderen EU-Ländern.