Wann ist ein Wein ein Wein?

Künftig wird es bei uns Weine zu kaufen geben, die traditionell hergestellt sind – und solche, die mit Zusatzstoffen aufgepeppt wurden. Geht es nach dem geplanten EU-USA-Weinhandelsabkommen, sollen wir die Weine nicht am Etikett unterscheiden können. Doch der Widerstand wächst

VON SABINE HERRE

In den USA gibt es ein Nahrungsergänzungsmittel, das sich „Trace Mineral Drops“ nennt. Übersetzt heißt das so viel wie „Spur von mineralischen Tropfen“ und wenn man ein paar Spritzer davon in ein Glas Wein gibt, schmeckt dieser nicht länger plump, sondern schlank und frisch. Ja, mehr noch, die Flüssigkeit macht ihrem Namen alle Ehre: Der Wein riecht plötzlich, als hätte man einen Feuerstein hineingelegt oder Kreide in ihm aufgelöst. Solch mineralische Töne sind in Europa nur auf ganz besonderen Böden möglich. In den USA jedoch reicht der Griff zur Pipette. Aus einem einfachen Riesling kann mit Hilfe der Zaubertropfen so ein Wein entstehen, der es mit den besten deutschen Produkten aufnimmt.

Es soll schmecken

Die „Mineral Drops“ sind lediglich ein Beispiel für all die Panschereien, mit denen man in den USA inzwischen versucht, mäßig schmeckende Weine aufzupeppen. Ein Beispiel für die Geschmacksmanipulationen in einer „schönen neuen Weinwelt“ – wie sie der in Berlin lebende britische Weinautor Stuart Pigott nennt. Hat der Wein – wegen der immer stärker brennenden kalifornischen Sonne – einen zu hohen Alkoholgehalt, gießt der Winzer Wasser hinein. Soll der Wein nach Vanille duften, wirft er eine Hand voll Eichenholzchips in den Stahltank. Verwendet werden granulierter Kork und Saccharose, Sojamehl und Antischaummittel, Glucoseoxidase und Beta-Glucanase … Der bisherige Gipfel aber ist die künstliche Herstellung von Weinen in einem Apparat, der den kaum über die Lippen zu bringenden Namen „Schleuder-Kegel-Kolonne“ trägt. Dieser zerlegt den Wein in seine Bestandteile – Alkohol, Aromen, Säuren –, um ihn anschließend je nach Gusto der Kundschaft wieder zusammenzusetzen. Der eine mag eben lieber Weine, die nach Maracuja schmecken, der andere präferiert schwarze Johannisbeeren.

Ziel all dieser keineswegs verbotenen, sondern durchaus erlaubten Manipulationen ist es natürlich, einen Wein herzustellen, bei dem egal ist, wie das Wetter war oder woher die Trauben kamen. Weine, die jedes Jahr gleich schmecken, bei denen der Kunde weiß, welchen Geschmack er erwarten kann, und die sich gerade deshalb besonders gut verkaufen. Weine, die gemacht werden wie Coca-Cola. 700 Millionen Liter Wein produziert das kalifornische Unternehmen Gallo jedes Jahr – das sind pro Tag unglaubliche 2 Millionen Flaschen.

Die schöne neue Weinwelt, sie beschränkte sich bisher auf die Länder der neuen Welt: auf Australien und Neuseeland, auf Argentinien und Chile sowie natürlich die USA. In Europa war bisher der Verkauf von mit Eichenholzchips aromatisierten Weinen erlaubt, alle anderen Manipulationen der amerikanischen Weinmacher jedoch verboten. Dies könnte sich nun ändern: Das EU-USA-Weinhandelsabkommen, das kommende Woche von den EU-Agrarministern abgesegnet werden soll, erlaubt den uneingeschränkten Import von gepanschten US-Weinen nach Europa.

Kein Wunder, dass die deutsche Weinszene sich in heller Aufregung befindet. „Alle deutschen Weinerzeuger sind gegen dieses Abkommen. Die Amerikaner haben dort ihr Verständnis von Wein als Industrieprodukt durchgesetzt. Doch Wein ist ein handwerkliches Produkt“, meint etwa Rudolf Nickenig, Geschäftsführer des Deutschen Weinbauverbandes. Und auch die Bundesregierung versucht, in den wenigen Tagen bis zur Tagung der Minister den Vertrag noch zu verhindern. „Wir können dem jetzt vorliegenden Abkommen nicht zustimmen, denn es würde die europäische Weinkultur erschüttern“, sagt Gerd Müller, parlamentarischer Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium. „In den USA werden Weine im Reagenzglas kreiert. Wir sollen ein Getränk importieren, das nach Wein schmeckt, aber kein Wein ist. Und der Verbraucher erfährt nichts davon. Denn eine spezielle Etikettierung sieht das Abkommen nicht vor.“ Der EU-Kommission, die den Vertrag mit den USA aushandelte, wirft der CSU-Politiker vor: „Wieder einmal steht die Marktöffnung, die Liberalisierung im Vordergrund.“ Und da auch andere Weinanbauländer inzwischen gegen den unkontrollierten Import von gepanschten Weinen opponieren, meint der deutsche Staatssekretär: „Ich bin zuversichtlich, dass wir das Abkommen im Agrarrat stoppen können.“

Noch etwas Zucker?

Doch ist die Empörung der europäischen Weinwelt wirklich berechtigt? Sind die deutschen Winzer tatsächlich die guten Handwerker, die sich nun der bösen industriellen Weinproduzenten aus den USA erwehren müssen? Schließlich sind auch in der EU eine ganze Reihe von Manipulationen am Wein erlaubt. Zwar gießen die deutschen Winzer anders als ihre US-Kollegen kein Wasser in den Wein – aber sie entziehen es ihm. Mit der so genannten Umkehr-Osmose etwa, die die Geschmacksstoffe im Traubenmost konzentriert. Auch die Zugabe von Zucker oder Säure ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Mit Eichenholzchips als Ersatz für die teuren Barriques, die kleinen Holzfässer, wird seit Jahren experimentiert. Beim Deutschen Weinbauverband erwartet man, dass mit der Reform der EU-Weinverordnung im nächsten Jahr deutsche Winzer diese Holzspäne bald ganz legal in ihre Weine geben dürfen. Und selbst die kritisierte Schleuder-Kegel-Kolonne ist kein Tabu: Die Wein-Forschungsanstalt in Geisenheim hat so einen Weinzertrümmerer.

„Wein war nie ein reines Naturprodukt, auch wenn der Kunde dies gerne glauben möchte“, sagt Andreas Schiechel von der Berliner Weinhandlung Vinum. Schon die Römer gaben Honig oder Gewürze in den Wein, um ihn schmackhafter zu machen. Seit Jahrhunderten wird Eiweiß zur Schönung und Schwefel zur Haltbarmachung eingesetzt. Warum also soll man dem Wein keine künstlichen Aromen zugeben? Wo zieht man die Grenze? Wo hört der Wein auf, Wein zu sein?

„Für mich ist die Grenze dort, wo man den Wein zerlegt, um ihn dann neu zusammenzusetzen“, meint Rudolf Nickenig vom Weinbauverband. Und Weinhändler Schiechel sagt: „Quantitative Veränderungen sollen möglich sein, aber keine qualitativen.“ Was bedeutet: Gibt man Stoffe in den Wein, die dort schon vorhanden sind wie etwa Säure, ist das okay. Künstliche Zusätze aber gehören verboten.

Die zweite Klasse

Nickenig möchte in den kommenden Jahren einen Kriterienkatalog erarbeiten, der festschreibt, was in den Wein darf und was nicht. Er ist sich klar, dass die Diskussion darüber nicht einfach sein wird. Ziel jedoch müsse es sein, da sind sich Winzer und Weinhändler, Lobbyist und Politiker einig, die Weinwelt künftig zweizuteilen: in „industrielle“ und in „handwerkliche“ Weine, in billige Labor- und teure Terroirweine – in Weine für den einfachen und für den gehobenen Trinker.

Weniger einig ist man sich bei der Frage, wie man dem Kunden deutlich machen kann, welche Art von Wein er gerade in sein Glas gießt. Beispiel Eichenholzchips: Experten sind der Ansicht, dass sich mit Holzspänen aromatisierte Weine geschmacklich kaum von Barriqueweinen unterscheiden. Zudem würden durch die Verwendung der Chips Rohstoffe geschont und der Wein billiger. Tatsächlich kostet das 225-Liter-Holzfass um die 1.000 Euro, die Flasche Wein wird dadurch bis zu 3 Euro teurer. Chips schlagen dagegen nur mit 2 Cent pro Flasche zu Buche. Doch werden Verbraucher Weine kaufen, auf denen steht „Mit Holzchips aromatisiert“? Wohl eher nicht, meinen viele Winzer – und lehnen eine Etikettierung ab.

Dagegen will Gerd Müller vom Verbraucherschutzministerium bei den Nachverhandlungen über das EU-USA-Weinhandelsabkommen über eine Etikettierung diskutieren, die deutlich mache, „dass die US-Laborweine nach Verfahren hergestellt werden, die nicht den EU-Verbraucherstandards entsprechen“. Bei der Kommission in Brüssel stößt Berlin damit auf wenig Verständnis. Dort heißt es lapidar, dass die „EU-Weinverordnung keine Kennzeichnung von Herstellungsmethoden vorsehe“.

Der Rebell von der Mosel

Und dann gibt es da noch eine ganz andere Position zu dem umstrittenen Abkommen. Diese vertritt ausgerechnet ein Winzer, der sich in den letzten Jahren wie kein anderer für Weine stark machte, die in ihrem Geschmack das „Terroir“, den Boden, auf dem sie wuchsen, widerspiegeln. Reinhard Löwenstein, der „Rebell von der Mosel“, sagt: „Es gibt gar nicht genug Terroir-Weine. Daher brauchen wir die Industrieweine. Es geht nicht um gute gegen böse Weine, es geht darum, dass der Kunde weiß, wie jeder Wein entstanden ist und sich frei entscheiden kann.“