Grauer Zauber

Mischkalkulation versus Hochliteratur: Rainer Moritz und Joachim Unseld streiten sich über das ökonomischere und das literarisch wertvollere Büchermachen

Dieser kleine, diese Woche in der Welt ausgetragene Streit hat was Bizarres: Der Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, einst Chef des Hoffmann-&-Campe-Verlags, schimpft über die Weltfremdheit des Feuilletons, über den „Selbstbetrug“ im Literaturbetrieb und schreibt den Angeklagten ins Stammbuch, wie wichtig die Mischkalkulation für die Verlage ist und wie ökonomisch unsinnig ein ausschließlich hochliterarisches Programm: Also, Gaby Hauptmann finanziert Anette Pehnt, ein Mankell einen Amis usw.

Daraufhin macht sich drei Tage später der Kleinverleger Joachim Unseld (Frankfurter Verlagsanstalt) rührende Gedanken darüber, was ein Verlag für seine Autoren und deren Werk tun kann. Er beschwört die Verschlankung der Verlage, ihre Konzentration auf weniger Titel und findet es „völlig in Ordnung und nicht abzustrafen, wenn das deutsche Feuilleton die Verlage, die sich ausschließlich mit Literatur befassen, nicht aus den Augen verliert“. Bizarr ist das Ganze, weil hier zwei gelernte Verleger große, offene Scheunentore einrennen, so als habe das „deutsche Feuilleton“ noch nie was von Mischkalkulationen gehört oder wüssten gerade die Publikumsverlage nicht, dass „Abspecken bis aufs Äußerste“ (Unseld) angesagt ist.

Aber auch, weil es doch noch viel mehr Bruchstellen gibt: Nicht nur dass das Feuilleton schon länger einen Hang zum Populären hat und nur noch vereinzelt Elfenbeinturmwärter beschäftigt; es unterliegt selbst seit Jahren dem Druck zur Mischkalkulation und Popularität, dem Wer-hat-als-Erster-den-Schulze-Houellebecq-oder-King-Kong-Text im Blatt: Da drücken Auflage und Chefredaktion. So ist es hier, im Feuilleton, umgekehrt Erholung und Kür, Entdeckungen zu machen – gern bei kleinen, feinen Verlagen, aber auch bei den fiesen großen. Unseld geißelt deren „aggressiven Marketinggrößenwahn“, doch blüht auch hier im Verborgenen die Literatur, für die kein Geld im Werbeetat ist, die praktisch nach Verschickung der Vorschauen auf sich allein gestellt ist.

Die kleinen Verlage haben da den Vorteil der intensiveren Bekümmerung. Trotzdem fragt sich bei aller Sympathie für sie manchmal auch das Feuilleton: Warum der Zauber? Sind Blumenbars Thomas Palzer („Ruin“) oder Tropen-Star Lethem nicht problemlos bei Rowohlt oder Luchterhand vorstellbar? Das spezielle Profil, das, was die Großen nicht machen – das dauert, fehlt oder ist gar nicht beabsichtigt. Nur wenn Joachim Unseld einfach ein Programm ausfallen lässt, wie jetzt im Frühjahr, kann das wohl weiß Gott und Rainer Moritz nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Man wünscht Unseld da mal einen richtigen Verkaufskracher, auf dass er in Zukunft problemlos seine Poschmanns und Händlers veröffentlichen kann. GERRIT BARTELS