Eine der Letzten ihrer Art

Zu ihrem sechzigsten Geburtstag hat Bette Midler ein Album mit Klassikern von Peggy Lee aufgenommen. Wie sonst nur noch Barbra Streisand verkörpert sie die gewitzte jüdische Homo-Ikone mit Stil und Herz

VON JAN FEDDERSEN

Neulich feierte sie ihren sechzigsten Geburtstag – und alle waren da, um ihr zu huldigen. Am innigsten an ihrer Seite stand nicht ihr Mann, sondern jener Freund, mit dem sie auch jüngst kooperierte, für ein Album mit Songs von Peggy Lee, der aber vor allem mit ihr ziemlich zeitgleich den Aufstieg in die oberste Schicht des amerikanischen Showhimmels anging: Barry Manilow, ein begnadeter Komponist, Arrangeur der göttlichen Sorte, Vater von Liedern wie „Copacabana“, „Can’t Smile Without You“ und „Mandy“. Er lächelte sie an, wie man das nur tun kann, wenn einen herzliche Freundschaft verbindet, und dies schon seit Jahrzehnten: Bette Midler, die Göttliche, der Star des amerikanischen Unterhaltungsgenres der späten Siebziger bis frühen Neunziger.

Barry Manilow hat nicht nur das Peggy-Lee-Album betreut, auch dem vor zwei Jahren erschienenen Tonträger mit den Midler-Interpretationen von Songs der berühmten Rosemary Clooney stand er hinter dem Mischpult vor. Über die Qualität braucht man kaum etwas zu sagen. Es reicht doch, dass die Midler sie aufgenommen hat, immer noch gibt sie Platten heraus, nun eben, wie es im Begleittext heißt, zolle sie all den Größen Respekt, die vor ihren Jahren auf den glamourösesten Bühnen standen. Klar, die Midler macht ihre Sache natürlich grandios. Ihre Stimme noch wärmer, gerade in jenen Passagen, die die Übergänge bilden zu den hymnischen Refrains. Aber der Verkauf will nicht mehr so recht gelingen, in den Charts landen Alben wie jene der Midler nicht mehr so automatisch, so verlässlich und planbar wie einst.

Und wie ihr ergeht es vielen Entertainerinnen, die wie Midler, Barbra Streisand oder Liza Minnelli früher, ganz früher allein ihre Companies am Leben hielten. Die Stars, sie sterben aus, mangels Nachfrage und weil die Zeiten sich ändern. In Wirklichkeit eint diese Künstlerinnen – wie ihre „Mütter“ Judy Garland, Billie Holiday, Peggy Lee, Rosemary Clooney, in gewisser Weise auch Dolly Parton oder Tammy Wynette –, dass sie allesamt in erster Linie von schwulen Männern befördert wurden, gefeiert, angetrieben, bestätigt, ermutigt, ermuntert.

Die Midler verkörpert dieses Modell der Anbetung durch die schwulen Jungs besonders glaubwürdig. 1945 auf Hawaii geboren, von der Mutter nach Bette Davis benannt und früh schon, als Schülerin, als Bühnensau ihrer Schule ortsberühmt geworden, ging sie Ende der Sechzigerjahre nach New York und avancierte zügig zum komödiantischen Star der Off-Off-Szene im Village – vertraut mit all den Genres des amerikanischen Entertainments. Schon in jenen Jahren, der Zeit der Achtundsechzigergeneration with all the summers of love, beteten die Homosexuellen sie an. Sie liebten in ihr die frische, freche Person, die durch nichts und niemanden einzuschüchtern war. Sie waren selbst gerade erst dabei, öffentlich als selbstbewusst, ja, kämpferisch hervorzutreten; es war die Stimmung, aus der die Aufstände gegen Polizeirazzien in Schwulenkneipen erwuchsen.

Bette Midler traf in jenen Jahren den jungen Barry Manilow, selbst schwul, aufrecht, absolut erpicht darauf, mit seinen Songs im Mainstream anzukommen – ihn zu bedienen und ihn sich gefügig zu machen. Es mag ein Gerücht sein, aber ihr erstes Treffen soll in genau jener schwulen Sauna stattgefunden haben, die der Midler den Namen „Bathhouse Betty“ eintrug: Dort gastierte sie häufig, als Unterhalterin zwischen den einzelnen Schwitzgängen. Anzüglich sei ihr Humor, hieß es. Frivol und keineswegs nur unterschwellig offenherzig teilte sie Zotiges und Anstößiges mit. Das mochte man, das musste populär sein, das ließ man sich gefallen in einer Ära, die für Schwule und Lesben die prägendste und politisch erfolgreichste ihrer Geschichte werden sollte.

Midlers Aufstieg war damit quasi besiegelt. Jüdisch und insofern erfahren in der Kunst, sich den Wünschen der Mehrheit anzuschmiegen, um sie subversiv zu eigenen Gunsten auszuhebeln, im eigenen Sinne zu verändern, wurde sie dann auch wirklich die populärste Komödiantin Hollywoods, außerdem die Chanteuse mit Herz – sei es mit „From A Distance“, „The Wind Beneath My Wings“ oder „Miss Otis Regrets“: oft Oldies aus den guten alten Zeiten, aber auf ihre Weise schließlich immer am Ende midleresk.

Ihr Humor war gnadenlos, auch in eigener Sache. Ergreifend komisch ihre Rolle als Kidnappingopfer in der „Verrückten Entführung der Mrs. Stone“, an deren Ende sie Danny DeVito auf einem Pier tüchtig vermöbelt; oder die steinerweichende Verkörperung einer Sängerin, die ihre beste Freundin im Stich lässt, als die krebskrank mit dem Tode kämpft … Midler interpretierte in all ihren Rollen das Leben als Möglichkeit zur Freundschaft, nicht nur zur ewigen Liebe: Und in dieser Generalthese liegt auch das Geheimnis der Verehrung, die ihr schwule Männer entgegenbringen. Nicht Liebe kann Berge versetzen, sondern Freundschaft, die Arbeit an Nahbeziehungen jenseits gewöhnlicher Sexualspannung.

Dass sie ihre beiden jüngsten Alben, jenes mit Peggy-Lee-Hommagen wie das zu Rosemary Clooney, besonders frischen Gemüts eingesungen hat, spricht für ihr Gefühl, das Leben kämpferisch, tapfer und triumphal genommen zu haben: Die göttliche Ms. Midler ließ sich nicht unterkriegen. Den letzten Ritterschlag erhielt sie übrigens vor vier Jahren, als sie, kurz nach den Terroranschlägen in New York, bei der multireligiösen Trauerfeier im Yankee-Stadium die Nationalhymne intonierte und obendrein ihren „Beaches“-Song, „You Are The Wind Beneath My Wings“, anstimmte: Bette Midler war die einzig akzeptable Sängerin für alle Glaubenden im Stadion wie vor den Fernsehschirmen.

Und doch geht eine Zeit zu Ende, in der eben Entertainer wie die Midler oder die Streisand zu Heroinnen eines Zeitgeistes werden konnten: über drei Jahrzehnte jüdisch inspirierter Courage in puncto Bürgerrechtspolitik, über dreißig Jahre Unterhaltungsästhetik, die nicht auf Aggression und Kindchenhaftigkeit setzte, auf derbe Scherze, wie sie in der Ära Bushs wieder gepflegt werden. Gerade die Streisand, aufgewachsen im New Yorker Brooklyn, als es noch nicht trendig war, weiß das genau.

Immer noch sammelt sie für jeden guten Zweck, für Aidskranke, gegen Umweltverschmutzung und das Elend der Kinder der Welt – und alle vier Jahre für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten, am hartnäckigsten für Bill Clinton. Aber es wirkt nicht mehr so zwingend, nicht mehr getragen von einer großen gesellschaftlichen Stimmung im Lande.

Der amerikanische Essayist Andrew Sullivan meint, das „Ende der schwulen Kultur“ sei gekommen. Homosexuelle hätten früher, fast klassenübergreifend, eine Ästhetik des Tapferen und Siegesgewissen formuliert – überall, vor allem aber mit Hilfe von Hollywood und seinen Hervorbringungen. Nun, da Schwule und Lesben politisch zumindest in den westlichen Ländern vieles erreicht hätten, verlöre sich die Gemeinsamkeit. Reiche Schwule machen Urlaub, wo alle Reichen eben Ferien machen – und arme Homos können sich nur den Ausflug nach Coney Island erlauben. Aber war es je anders? Die Liberalisierung – die auch vor den USA, allen bible belts zum Trotz, nicht Halt gemacht hat – hat die „Armee der Liebenden“ (wie Rosa von Praunheim die Homosexuellen mal nannte) zerbröselt: Die Klassengrenzen, so Sullivan, würden wieder sichtbar: starr, undurchlässig, wie bei allen anderen Leuten auch.

„Money makes the world go around“, wie Liza Minnelli in „Cabaret“ sang: Die endlosen Sommer der Liebe haben diese Wahrheit nicht tilgen können. Was, natürlich, auch nicht in den Absichten der großen sozialliberalen Superdiven Midler, Streisand oder Minnelli lag. Aber sie verkörperten eben das Andere, eine, ja, freundlichere, weniger waffenstarrende Art des gesellschaftlichen Zusammenlebens: „From A Distance“, so Midler in ihrem größten Hit, „there is harmony / and it echoes through the land.“ Klingt kitschig, aber umso wahrer ist es doch. Die Basis für einen gemeinsamen, so widerständigen wie intelligenten, vor allem aber beherzten Witz, sie scheint sich aufzulösen.

Die Midler erweist sich beim Peggy-Lee-Album als Meisterin ohne Schülerschaft. Wo soll die auch herkommen: Mariah Carey oder all die anderen Mädchen können ja nicht mal den Griff ans (imaginierte) Collier, den die Midler auf ihrem Clooney-Album immer noch perfekt beherrscht.

JAN FEDDERSEN, Jahrgang 1957, verfiel Ms. Midler nach Filmen wie „Beaches“ wie „Die verrückte Entführung der Mrs. Stone“ – und deren Grammy-gekrönter Interpretation des Julie-Gold-Songs „From A Distance“