gastkommentar von Joachim schuster, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter
: Contra Bücking: Rückzug des Staates ist keine Alternative

Die Argumentation von Robert Bücking (taz bremen 29.12.) ist einfach. Bremen ist pleite. Die Politik der großen Koalition hat versagt, die Chance der Sanierung wurde kläglich vertan. Inzwischen gibt niemand mehr einen Pfifferling auf Bremen. Das Land wird nur nicht aufgelöst, weil es verfassungsrechtlich schwierig ist. Genesen kann das bremische Gemeinwesen nur, wenn der Staat sich zurückzieht. Die Wahrheit ist einfach.

Solch Fundamentalkritik mag aus oppositioneller Sicht einen gewissen Charme haben und garantiert Aufmerksamkeit. So weit, so legitim. Aber leistet sie einen konstruktiven Beitrag zur wichtigen Debatte über die Zukunft Bremens? Da sind Zweifel angebracht, weil von falschen finanzpolitischen Grundlagen ausgegangen wird. Zweifel auch, weil die Argumentation Bückings den Blick für eine zentrale Aufgabe politischen Handelns verstellt: Den sozialen Zusammenhalt der Stadt zu organisieren und zu gewährleisten.

Finanzpolitisch ist ein Blick über den bremischen Tellerrand hilfreich. Neben Bremen und dem Saarland steuern zumindest die ostdeutschen Länder und Berlin auf eine extreme Haushaltsnotlage zu. Die Hauptursache für die bremische Finanzmisere und die allgemein schlechte Haushaltslage ist die rückläufige Einnahmeentwicklung. Denn die Wirtschaftskraft Bremens ist nach wie vor überdurchschnittlich. Während z.B. die Wirtschaftsleistung in Bremen seit 1994 um über 20% gestiegen ist, sind die bremischen Steuereinnahmen um rund 6% im gleichen Zeitraum gesunken. Der Zusammenhang von Wachstum und höheren Steuereinnahmen ist aufgelöst. Diese Entwicklung wird durch die schlechte Konjunktur noch verschärft. Das Kernproblem aller staatlichen Ebenen ist die Unterfinanzierung des Staates.

Diese bundespolitische Dimension der Finanzmisere soll aber nicht von den eigenen Defiziten ablenken. Der Sparkurs im konsumtiven Bereich war und ist mit vielen Härten verbunden. Im Grundsatz ist er jedoch alternativlos, weil Bremen die Ausgaben an bundesdeutschen Standards orientieren muss. Es war auch richtig, die Investitionsquote Bremens zu steigern. Viele der Investitionen haben Früchte getragen. Gleichwohl sind auch gewichtige Fehlinvestitionen getätigt worden. Aber den Space Park oder das Musical für die Finanzmisere verantwortlich zu machen, ist absurd.

Ausgehend von seiner fehlerhaften finanzpolitischen Analyse bleibt Bücking nur die Kapitulation vor der normativen Kraft des Faktischen. Der Staat hat seine Schuldigkeit getan, er kann gehen. An seiner statt tritt die Bürgergesellschaft. Sie verspricht vermeintliche Linderung für die gebeutelte Staatskasse. Die Beteiligungsmodelle à la Bücking setzen allerdings ein hohes Engagement jedes Einzelnen voraus und am Ende auch nicht zu unterschätzende Finanzmittel. Das heißt: Entweder bringt die Politik von Bücking unterm Strich keine finanzpolitische Entlastung oder sie schließt vor allem diejenigen Bevölkerungsgruppen und Stadtteile von Teilhabe aus, deren momentane Fähigkeit zur Selbstorganisation und Eigenfinanzierung gering ist. So wird aus der Bürgergesellschaft die Bildungsbürgergesellschaft.

Angesichts der demographischen Entwicklung, angesichts der zunehmenden (Kinder-)Armut und der sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich, angesichts der nicht bewältigten ökologischen Herausforderung verbietet sich eine Politik des Abbaus des Staates. Der Staat ist die einzige Instanz, die die notwendige politische Regulierung mit dem Ziel der Wahrung sozialer Balance durchsetzen kann. Wer vor allem eine Rücknahme des Staates propagiert, geht letztlich der neoliberalen Propaganda auf den Leim. Das heißt übrigens nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Im Gegenteil. Wir brauchen dringend eine Reform staatlichen Handelns durch Vernetzung und Einbeziehung der Bürger. Inhaltlich geht es um folgende Eckpunkte:

1. Bremen muss sich für eine Stärkung der Wirtschaftskraft und die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen.

2. Die demographische Entwicklung erfordert einen umfassenden Umbau der sozialen Infrastruktur, verbunden mit einer Aktivierung und Einbeziehung der Bevölkerung in die Angelegenheiten der Stadtgesellschaft.

3. Um den Trend zu einer Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken, bedarf es auch in der Stadt einer staatlich vermittelten Umverteilung.

4. Die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft hängt in hohem Maße vom Wissen und Können der Erwerbstätigen ab. Die Schaffung der Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen ist die zentrale Zukunftsaufgabe gerade der Bundesländer.

Die Selbständigkeit ist zur Verwirklichung einer solchen Politik kein Luxus, sondern Bedingung für die Erreichung der Ziele. Mitnichten ist sie die Lizenz zum Schuldenmachen. Der Wille zur Selbständigkeit steht für den Anspruch auf auskömmliche Finanzen, die Bereitschaft zur Übernahme finanzpolitischer Verantwortung auf der Ausgabenseite, für die Entwicklung von Kreativität beim Stadtumbau und den Willen zur Selbstbestimmung. Der neue Senat ist erste Schritte in diese Richtung gegangen. Um die Korrektur durchzusetzen, bedarf es aber noch vieler Auseinandersetzungen und Debatten.