Referendum spaltet Montenegro

Regierung will Volksentscheid über Unabhängigkeit von Serbien im Frühjahr durchziehen. Die Opposition spricht von Fälschungen und droht mit Protesten

Spannungen sind spürbar, „politisch motivierte“ Prügeleien keine Seltenheit

BELGRAD taz ■ Ob im Parlament oder der Kneipe, in den Medien oder auf der Straße, der Kampf zwischen „Separatisten“ und „Unionisten“ bestimmt das Alltagsleben in Montenegro. Politiker benehmen sich, als ob es ihre Berufung wäre, die Unabhängigkeit oder das Fortbestehen der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro zu erkämpfen. Eine politische Auseinandersetzung verwandelt sich immer mehr in leidenschaftliche Feindseligkeit. Man spricht von „höheren Zielen“, der „Verpflichtung gegenüber den Vorfahren“ und der „europäischen Zukunft“, die man schneller und einfacher als souveräner Staat oder gemeinsam mit Serbien erreichen würde. Die Bevölkerung ist gespalten, und Spannungen sind spürbar. „Politisch motivierte“ Prügeleien sind keine Seltenheit.

Es bestünde kein Zweifel, dass das Referendum über die Unabhängigkeit im Frühjahr über die Bühne gehen werde, teilte Premier Milo Djukanović den Bürgern Montenegros in seiner Neujahrsansprache mit. Das genaue Datum werde das Parlament am 7. Februar bestimmen. Das Land befinde sich vor der Erfüllung eines lange ersehnten Traums.

Von einem „einseitigen Kriegsreferendum“ und einer „dramatischen politischen Botschaft“ sprachen dagegen Oppositionsführer und kündigten heftige Proteste an. Man warf Djukanović vor, „100.000 Stimmen kaufen“ und die Ergebnisse des Volksbegehrens „fälschen“ zu wollen.

Den Referendumsrausch in der kleinen Adria-Republik löste die Venedig-Kommission aus, die Ende 2005 entschieden hatte, dass die Referendumsgesetze in Montenegro „nicht im Widerspruch“ zu europäischen Standards stünden. Für Djukanović war das der endgültige Startschuss für das Referendumsrennen. Die Kommission bestätigte unter anderem, dass die rund 250.000 in Serbien wohnhaften Montenegriner (gut ein Drittel aller Montenegriner) kein Wahlrecht in Montenegro hätten. Mit ihren Stimmen wäre das Unabhängigkeitsprojekt von Djukanović, der abwechselnd als Präsident oder Ministerpräsident seit fünfzehn Jahren an der Macht ist, zum Scheitern verurteilt.

Was die Streitfrage angeht, ob die Mehrheit der „Wahlbeteiligten“, wie es das Gesetz vorschreibt, oder über fünfzig Prozent der „Wahlberechtigten“, was die Opposition fordert, über die Souveränität Montenegros entscheiden kann, „empfahl“ die Kommission, die politischen Kräfte sollten sich „einigen“.

Ein „direkter“ Dialog mit dem „kriminellen, korrumpierten, despotischen“ Regime sei ausgeschlossen, verkündete die von der „Sozialistischen Volkspartei“ SNP angeführte proserbische Opposition. Man werde an einem ausgeschriebenen Referendum unter den von Djukanović bestimmten Bedingungen weder teilnehmen noch seine Ergebnisse anerkennen, meinte SNP-Cheff, Predrag Bulatović, und forderte eine dringende Vermittlung der EU.

Man sei reif genug, um ohne die Vermittlung der EU miteinander zu reden, konterte der Pressesprecher der regierenden „Demokratischen Partei der Sozialisten“, Predrag Sekulić. Das wäre „korrekter“ gegenüber den Wählern. Die Opposition werde den Referendumsprozess nicht aufhalten können.

Nebojša Medojević von der Nichtregierungsorganisation „Gruppe für Veränderungen“ warf Djukanović vor, einen Dialog mit der Opposition gar nicht „ehrlich“ zu wollen. Falls die Opposition nicht ein Monitoring der EU sichere, habe sie bei dem Referendum nichts zu suchen. Sollte Djukanović die Forderungen der Opposition ignorieren und die Unabhängigkeit Montenegros durchziehen, drohten Serben die „Autonomie von 26 serbischen Regionen im Norden des Landes samt der Bucht von Cattaro“ auszurufen.

In Belgrad zuckt man mit den Achseln und meint, dass man den „Willen“ der Montenegriner akzeptieren würde. Auch in Serbien streben einige Parteien die Trennung der beiden Teilrepubliken an. Jüngste Umfragen zeigen, dass knapp über 41 Prozent der Befragten in Montenegro für und rund 35 gegen die Unabhängigkeit sind. Angesichts des „bösen Bluts“ sei ein zu knappes Ergebnis des Referendums gefährlich, meinen Analytiker. Der Zerfall der Staatengemeinschaft (SCG) könnte nicht nur Unruhen in Montenegro auslösen, sondern sich auch negativ auf die Verhandlungen über den zukünftigen Status des Kosovo auswirken. Dieses ist aufgrund der UNO-Resolution 1244 als Teil der SCG definiert. ANDREJ IVANJI