Geld, Krankheit oder Tod

AUS FREETOWN UND MONROVIAHAKEEM JIMO

Frank nennt es einen ganz normalen Ferienjob. Nun gut, sagt der 17-Jährige dann doch: „Es hängt vom Erfolg ab, ob ich dann die Schulgebühren zahlen kann.“ Aber sonst sei diese Arbeit nichts Besonderes, denn er habe das ja schon viele Ferien so gemacht. Frank Fofana steht bis zu den Knien in einem Wasserloch. Ringsherum umgibt ihn ein Wall aufgeschütteter roter Erde. „Es ist wie ein Wettrennen mit der Natur“, sagt Frank. Ein anderer lacht makaber und sagt: „Irgendetwas gibt es immer beim Diamantenschürfen. Entweder Geld oder Krankheit oder Tod.“

Frank und seine Schulkameraden suchen in den Ferien nach Diamanten. Denn Arbeit findet sich in dem von 15 Jahren Bürgerkrieg zerstörten Liberia nicht. Der angehende Abschlussschüler steht mit seinen Mitschürfern in einer Waldschneise. Löcher mit rotem Sand ziehen sich durch den dichten Tropenwald unweit der Regionalstadt Sanniquelli. Seit einer Woche schaufeln die jungen Männer Tonnen von Geröll aus dem Schlamm. Sie graben den Wald regelrecht um. Zuerst schütteln sie rote Erde durch ein grobes Sieb, so groß wie eine halbe Tischtennisplatte, um das Geröll auszusortieren. Danach kommt ein kleineres, feines Sieb zum Einsatz, um die Diamanten herauszuwaschen.

Frank und seine Glücksritter schürfen mit der traditionellen Methode nach Alluvial-Diamanten. Das heißt, sie arbeiten an der Erdoberfläche, in Flussbetten. Hierfür reichen ein paar Siebe, Schaufeln, Wasser und die richtige Erde, und das kann jeder machen. Der sierra-leonische Diamantenexperte Frank Karefa-Smart geht davon aus, dass rund zwei Drittel aller gefundenen Diamanten alluvial sind. Wer einen findet, hat ausgesorgt. In manchen Ländern gelten Diamanten als beste Altersversorgung.

Daneben gibt es noch die industrielle Kimberlit-Methode, bei der in Bergwerken Bohrer bis zum Diamantenmuttergestein, dem Kimberlit, vorstoßen und die Edelsteine später aus den Steinbrocken gelöst werden. Diese Art der Förderung gibt es hauptsächlich in Südafrika, Botswana und Namibia. Sie erfordert großen technischen Aufwand und hohe Investitionen. Die Weltproduktion an Naturdiamant liegt heute bei etwa 20 Tonnen pro Jahr oder 114 Millionen Karat. Das entspricht einem Umsatz von fast sieben Milliarden US-Dollar.

Egal, ob Sanktionen oder Krieg

So wie Frank Fofana schürfen Hunderttausende in Afrika nach Diamanten. Vor allem in Angola, der Demokratischen Republik Kongo, Sierra Leone, Liberia oder der Zentralafrikanischen Republik. Sie schürfen in Kriegszeiten und sie schürfen in Friedenszeiten. Zurzeit tobt in den meisten Ländern mit Diamantenvorkommen kein Bürgerkrieg. Das ist neu: In den 90er-Jahren galten die Diamanten in Sierra Leone oder Angola als Grund für die dortigen Kriege.

„Kriegsdiamanten“ zeichnen zwar nur für 4 bis 15 Prozent des Welthandels verantwortlich. Aber bereits 4 Prozent entsprechen einer Summe von rund 270 Millionen US-Dollar. Nach wie vor gelten Diamanten bei internationalen Terrornetzwerken und Kriminellen als optimal. Sie sind eine extrem konzentrierte Wertform und dazu wertstabil. Das hilft Kriegsfinanziers ebenso wie der armen Landbewohnern in Afrika auf der Suche nach einem Lebensunterhalt. Der Zusammenschluss der internationalen Diamantenindustrie, der „Diamond High Council“, schätzt, dass al-Qaida durch Diamantenkauf rund 20 Millionen US-Dollar gewaschen hat. Ein Grund dafür ist, dass in Westafrika eingewanderte Händler aus dem Libanon den Diamantensektor kontrollieren – ein Relikt der Kolonialzeit, als Einheimischen der Handel mit Edelsteinen verboten war. In Sierra Leone beherrscht ein einziger libanesischer Händler die Hälfte des Diamantenexports.

Wenn es am Himmel donnert, laufen Frank und seine Mitschürfer in den dichten Wald. Denn dann taucht ein weißer Helikopter mit den schwarzen Buchstaben „UN“ auf – Vereinte Nationen . Liberias Diamantenschürfer denken, dass die UN-Hubschrauber sie jagen. Dabei ist das Schürfen in Liberia nicht verboten. Es ist nur die Ausfuhr, die gegen die geltenden UNO-Sanktionen verstößt. Ein UN-Experte der Vereinten Nationen schätzt, dass zurzeit jeden Monat in Liberia Diamanten im Wert von fast einer halben Million US-Dollar geschürft werden. Doch nach wie vor steht Liberia unter internationalen Sanktionen, die den Export von Tropenholz und Edelsteinen verbieten. Einst eingerichtet, um die Weiterausfuhr geschmuggelter Rohstoffe aus Sierra Leone zu unterbinden, gelten die Sanktionen bis heute, obwohl 2005 eine demokratische Wahl stattfand. Die internationale Gemeinschaft befürchtet, dass Einnahmen aus dem Tropenholz- und Diamantenhandel in falsche Hände geraten könnten.

Charles Taylor, Präsident Liberias 1997–2003, unterstützte die RUF-Rebellen in Sierra Leone, um im Gegenzug die dort geschürften Diamanten über Liberia hinauszuschmuggeln. Zwischen 1994 und 1998 wurden 6 Millionen Karat Diamanten aus Liberia exportiert, aber nur 140.000 Karat produziert. So konnten die Blutdiamanten aus Sierra Leone einen der grausamsten Bürgerkriege der Welt finanzieren. Heute ist Sierra Leones Krieg vorbei, die RUF-Führer stehen vor Gericht und der Diamantenexport wird von der Regierung kontrolliert – offiziell.

Auf internationaler Ebene beschäftigte sich seit Ende der 90er-Jahre der UNO-Sicherheitsrat mit der Diamantenproblematik. 1998 verbot er Angolas Unita-Rebellen die Diamantenausfuhr, in der Hoffnung, dann könnte Angolas Krieg enden. 2002 wurde daraus ein komplexer Überwachungsmechanismus für Diamantenhandel weltweit – der so genannte „Kimberley-Prozess“ (siehe Kasten). Indem nur solche Diamanten legal gehandelt werden dürfen, für die es ein Herkunftszertifikat der Regierung des Ursprungslandes gibt, soll Kriegsdiamanten der Weg auf den Weltmarkt erschwert werden.

Schlagwort „Friedensdiamant“

Beim Herkunftsnachweis allein soll es nicht bleiben. Der Sierra-Leoner Sam Karefa-Smart, ein gefragter Berater der Diamantenindustrie, will auch ökologische und soziale Fragen des Diamantenabbaus problematisieren. Zukünftig soll nicht mehr einfach nach Blutdiamanten geschaut werden. Sondern Diamanten sollen auch etwas für die Entwicklung der Menschen tun. „Friedensdiamanten“ ist das neue Schlagwort, oder „Diamanten für Entwicklung“.

Zwei Millionen Menschen weltweit verdienen ihren Lebensunterhalt in der Diamantenindustrie. Dazu zählt das Schürfen, Handeln, Veredeln und der Verkauf. In Sierra Leone mit seinen vier Millionen Einwohnern gibt es 120.000 Diamantenschürfer, darunter schätzungsweise 10.000 Kinder. Die meisten leben im Elend. Schon in den 30er-Jahren kam es in Sierra Leone wiederholt zu Aufständen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in der Diamantenindustrie. „Den nichtorganisierten Schürfern von privaten Auftraggebern geht es auch heute noch miserabel“, sagt Ezekiel Dyke von der Gewerkschaft für Minenarbeiter in Sierra Leone. „Sie verdienen kaum drei Dollar am Tag und das ohne soziale Absicherung.“

Dabei befindet sich Sierra Leones Diamantenbranche in einem Selbstreinigungsprozess. Mit dem Ende des Bürgerkriegs stieg die registrierte Ausfuhr von Rohdiamanten um das 70fache. 2004 exportierte Sierra Leone offiziell Diamanten im Wert von 126 Millionen Dollar. Und zum Abschluss der UN-Mission in Sierra Leone Ende 2005 bilanzierte die UNO stolz, dass die Hälfte der Diamantenproduktion von der Regierung registriert sei. Das bedeutet, dass die gesamte Gesellschaft in Sierra Leone über Steuern an der Ausbeutung der Rohdiamanten teilhaben kann – sofern die Steuergelder vernünftig eingesetzt werden, zum Beispiel zugunsten der Diamantengebiete oder der Arbeiter in der Bergbauindustrie. Hier liegt die nächste Herausforderung. Denn die Regierungseinnahmen aus dem Diamantenexport sind verschwindend gering – eine Verkaufssteuer von lediglich 3 Prozent. Und wenn der legale Diamantenexport die Hälfte der Produktion umfasst, bedeutet das, dass der unversteuerte, also illegale Diamantenexport, genauso hoch ist.

Der Kimberley-Prozess verheißt keine Wunderlösung. „Einige Firmen verhalten sich ehrlich. Anderen ist es mehr oder weniger egal, woher die Rohdiamanten kommen“, sagt eine ehemalige UN-Expertin in Angola. Auch das Branchenmagazin Diamond Intelligence Briefs griff kürzlich Korruption innerhalb des Kimberley-Prozesses auf. So sollen Pakete, in denen Rohdiamanten transportiert wurden, ihren Wert bei der Durchreise via Dubai vervielfacht haben. Falsche Wertangaben sind aber nur mit kollaborierenden Gegenstellen in den Behörden möglich. Wer das Kimberley-System aushebeln will, kann dies auch schaffen.

Das Land, auf dem Frank und die anderen Schürfer nach Diamanten graben, gehört seinem Vater. Wenn sie einen Stein gefunden haben, verkauft der Vater ihn an einen Händler. Der sei ihnen nicht weiter bekannt, sagt Frank Fofana. Zwar haben sie von den Sanktionen gegen ihr Land gehört. Aber vom Kimberley-Prozess nicht. Deswegen wollen sie ja zur Schule gehen.