„Die Männer müssen uns unterstützen“

Gegen so genannte Ehrenmorde und Zwangsheiraten helfen schärfere Gesetz nichts. Viel wichtiger sind bessere Zeugenschutzprogramme – und vorurteilsfreie Blicke auf jeden Einzelfall, meint die Anwältin Regina Kalthegener

taz: Frau Kalthegener, Sie haben deutsche Urteile über so genannte Ehrenmorde verglichen. Frauenrechtlerinnen meinen, die Justiz verharmlose diese Morde. Stimmt das?

Regina Kalthegener: Nein. Das Motiv Ehre oder Blutrache ist ein typisches Merkmal, das zu einer Verurteilung als Mord führen kann. Bei der Beweisaufnahme wird aber auch der Migrationshintergrund gewürdigt, der sich strafmildernd auswirken kann. Dann kann es zu einer Verurteilung als Totschlag kommen.

Das heißt, dass ein Ehrenmord unter Umständen weniger streng bestraft wird?

Ja, aber der Berücksichtigung anderer traditioneller, kultureller oder religiöser Wertvorstellungen hat der Bundesgerichtshof mittlerweile enge Grenzen gesetzt. Dass ein Täter noch nicht lang in Deutschland lebt und vielleicht nicht wissen konnte, dass so eine Tat hier verboten ist, könnte ein solcher Grund sein – wenn diese Verbrechen im Herkunftsland nicht strafbar sein sollten. Aber solche Konstellationen gab es bisher kaum.

Hat die Forderung nach einer Strafverschärfung Sinn?

Nein, unsere Strafgesetze reichen aus. Das Problem ist eher, dass die meisten Ehrenmorde ohnehin nicht vor Gericht kommen. Sie werden als Haushaltsunfälle getarnt. Da fällt eine Frau aus dem Fenster oder bekommt einen Stromschlag.

Feministinnen hegten früher den Verdacht, dass die Justiz als patriarchales System Gewalt gegen Frauen nicht angemessen bestraft. Ist das so abwegig?

Es gab hinsichtlich Gewaltverbrechen Urteile, die den Verdacht erhärteten, dass mit zweierlei Maß geurteilt wird. Vor Jahren wurde untersucht, ob Frauen härter bestraft werden, wenn sie ihren gewalttätigen Mann in Verzweiflung töteten, als Männer, die ihre Frau aus Eifersucht umbringen. Das ging eher zu Lasten der Frauen aus, sie wurden härter bestraft. Aber dass die Justiz ein patriarchales System sei, kann heute nicht mehr behauptet werden. Gewalt gegen Frauen wird zunehmend sensibler behandelt. Mittlerweile arbeiten auch viele Frauen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Die Justiz behandelt also Frauen und Männer gleich?

Ein Problem entsteht, wenn es kaum Indizien gibt, sondern nur das Opfer als einzige Zeugin. Dann kommt es sehr darauf an, wie das Verhör geführt wird. Es ist nicht immer nachvollziehbar, warum der eine Richter eine detaillierte, konsistente Aussage als glaubwürdig einstuft, ein anderer aber nicht. Leider besuchen nicht alle Richter die entsprechenden Fortbildungen.

Manche der „Ehrenmorde“, die die Medien auflisten, werden von den Staatsanwälten als Eifersuchtsmorde eingeordnet, weil ein Ehemann seine Frau oder Ex-Frau umbrachte. Kann man das so genau trennen?

Ich halte eine klare Abgrenzung für sehr schwierig. Einerseits ist der Täter selbst vielleicht besonders eifersüchtig oder verletzt, wenn seine Frau sich scheiden lassen will oder einem anderen Mann zugewandt hat. Andererseits sagt eventuell die Familie, die Frau verletze die Familienehre, und übt damit Druck aus. Im günstigsten Fall lässt sich im Verlauf des Verfahrens klären, welche Motivlage überwiegt.

Wenn Eifersuchtsmorde, die es ja auch in der Mehrheitsgesellschaft gibt, als Ehrenmorde etikettiert werden, sehen Sie dann nicht die Gefahr, dass MigrantInnen mit Hilfe des Begriffes Ehrenmord als besonders grausam abgestempelt werden?

Was heißt „besonders grausam“? Mord ist Mord. Aber es ist eine heikle Frage. Auch ein Gericht kann unter Umständen nicht klären, ob der Grund „Ehre“ nun vorgeschoben ist oder nicht. Doch dass es „echte“ Ehrenmorde gibt, ist keine Frage. Und die kommen leider bei Menschen mit Migrationshintergrund häufiger vor. Man kann nur versuchen, so sachlich wie möglich zu bleiben, um keine weiteren Vorurteile zu erzeugen.

Braucht man für solche Delikte wie Ehrenmorde und Zwangsheiraten neue Gesetze?

Nein, neue Strafgesetze sind nicht das Thema. Der Punkt ist eher: Wer wagt überhaupt, Anzeige zu erstatten? Wie helfe ich einer Frau, die als Opferzeugin gegen die Familie aussagt? Zum Schutz vor Racheakten musste sie vielleicht in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Doch was passiert, wenn der Strafprozess vorbei ist? Dafür gibt es noch kein langfristiges Konzept. Eine meiner Mandantinnen befindet sich im Zeugenschutz. Was ich da erlebe, ist herzzerreißend. Frauen wie sie haben das familiäre Wertesystem verinnerlicht. Sie denken wirklich, sie hätten Schuld auf sich geladen, weil sie eigene Lebensentscheidungen getroffen haben. Eine von ihnen konnte bisher nur schwer davon abgebracht werden, sich umzubringen.

Was kann die Gesellschaft bei diesem Thema tun?

Das Thema muss in der Öffentlichkeit bleiben. Präventionsarbeit ist wichtig, etwa in Schulen. Für besonders wichtig halte ich aber, dass die Älteren erreicht werden, vor allem die Männer. Vor kurzem forderte etwa eine kurdische Journalistin die kurdischen Männer, die gegen Zwangsheiraten und Ehrenmord sind, auf, in die Männercafés zu gehen und dort mit den anderen zu reden. Wir brauchen die Unterstützung der Männer.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH