Zeuge „56765“ spricht nur mit falschen Bart

Antifaschist wird wegen eines Flaschenwurfs zu einem Jahr Haft verurteilt. Anwältin kritisiert vermummte LKA-Zeugen

Ein Jahr Haft lautet das Urteil gegen den Antifaschisten Christian S. Das Amtsgericht Tiergarten hält es für erwiesen, dass der 36-jährige Berliner am Rande einer Demonstration gegen den jährlichen Naziaufmarsch im Februar in Dresden eine Flasche geworfen hat (taz berichtete). Das Urteil ist vergleichsweise milde, zumal Christian S. unmittelbar nach der Verhandlung wegen überlanger Untersuchungshaft und seines angegriffenen Gesundheitszustands auf freien Fuß gesetzt wurde. Der Prozess jedoch glich stellenweise absurdem Theater.

Noch am Mittwoch, dem siebten Verhandlungstag, trat ein Zivilbeamter des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) als Belastungszeuge auf. Statt eines Namens trug er nur die Nummer „56765“, zudem war er mit Perücke, falschem Bart und Brille getarnt. Auf viele Fragen der Verteidigerin Silke Studzinski antwortete er gar nicht oder er verwies auf „polizeiinterne Taktik“, wozu er nicht aussagen dürfe.

Nach der Mittagspause setzten sich die Prozessparteien zusammen, um ein schnelles Ende des Verfahrens zu erreichen. Wegen solch schleppender Zeugenvernehmung hatte sich der ursprünglich auf nur einen Verhandlungstag angesetzte Prozess monatelang hingezogen. Und Christian S. saß elf Monate in U-Haft. Der bekennende Antifaschist ist eine Szenegröße. Eine Soli-Gruppe hält Sympathisanten per Homepage auf dem Laufenden. S. war erstmals im Sommer 2000 auf einer Anti-NPD-Demo nach einem angeblichen Steinwurf festgenommen worden. Die Folge: zehn Monate Haft auf Bewährung. Kurz vor deren verzögertem Ablauf geriet er am 1. Mai 2004 wieder ins Visier der Polizei. Sie nahm ihn fest, nachdem er in Friedrichshain an einem Auto gezündelt hatte. S. wollte damit einen Nazi-Aufmarsch aufhalten und bekannte sich im Internet öffentlich zu der Tat. Im Dezember 2004 wurde er daher zu drei Jahren Haft verurteilt. Sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft hatten dagegen Berufung eingelegt. Das Urteil war daher nicht rechtskräftig, Christian S. kam frei – bis er in Dresden ausgerechnet einem Zivilfahnder des Berliner LKA auffiel.

Bei der Verhandlung um ein schnelles Ende des aktuellen Verfahrens einigten sich die Prozessparteien auch darauf, die Berufung gegen das erste Urteil fallen zu lassen. Wann Christian S. die dreijährige Haftstrafe antreten muss, ist noch offen.

Nach der Einigung mit der Anklagebehörde erneuerte Studzinski ihre Vorwürfe gegen das Berliner Landeskriminalamt: „Die Art und Weise, wie das LKA den Prozess gelenkt und kontrolliert hat, ist nicht mit den Grundlagen der Strafprozessordnung vereinbar.“ Sie sprach von einem „Geheimprozess“, weil die Glaubwürdigkeit der LKA-Zeugen nicht überprüft werden konnte.

Uwe Wilhelm, Dezernatsleiter beim LKA, weist die Vorwürfe zurück. Es gehe nicht darum, „Manipulationen vorzunehmen“. Die Kodierung der Zivilbeamten sei auf Einzelfälle begrenzt. Wenn es Zweifel an der Integrität des Zeugen gäbe, könne ja der Vorgesetzte vorgeladen werden. Zudem würden Beamte, die schon „negativ aufgetreten sind“, nicht die Voraussetzungen für die Kodierung erfüllen. Jörg Meyer