„Wahlfreiheit ist nicht gefährdet“

Rechtsprofessorin Ute Sacksofsky fordert, dass Kinderbetreuungskosten bei der Steuer voll berücksichtigt werden. Die Gleichberechtigung zu fördern sei kein Dirigismus

taz: Frau Sacksofsky, die Koalition streitet darüber, ob Kinderbetreuungskosten stets ab dem ersten Euro von der Steuer abgezogen werden können. Was sagt die Verfassung dazu?

Ute Sacksofsky: Das Grundgesetz verlangt eine Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit. Der Staat muss deshalb Ausgaben steuermindernd berücksichtigen, die für die Ausübung der Berufstätigkeit zwingend sind, also zum Beispiel Arbeitskleidung oder eben Kosten für die Kinderbetreuung während der Arbeitszeit. Diese Ausgaben müssen ab dem ersten Euro anerkannt werden.

Nun gibt es bisher schon einen Steuerfreibetrag, in dem auch die Kosten für Kinderbetreuung pauschal berücksichtigt werden. Muss dieser Freibetrag künftig reduziert werden, sobald die real angefallenen Betreuungskosten ab dem ersten Euro steuermindernd sind?

Nein, dieser Freibetrag sollte in voller Höhe erhalten bleiben, schließlich haben Eltern ja nicht nur erwerbsbedingte Betreuungskosten, sondern brauchen auch mal einen Babysitter, um abends ins Kino zu können.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1998 ausdrücklich eine Freibetragslösung für den Betreuungsbedarf gefordert. Warum?

Das Gericht wollte damit die Wahlfreiheit der Eltern betonen, ob sie ihre Kinder tagsüber selbst betreuen oder gegen Bezahlung betreuen lassen. So werden auch Eltern subventioniert, bei denen ein Elternteil zu Hause bleibt. Diese brauchen zwar keine Tagesmütter und haben deshalb keine erwerbsbedingten Ausgaben für Kinderbetreuung, sie verzichten deshalb nach Karlsruher Ansicht auf Einkommen. Hierfür sollte der Freibetrag ein Ausgleich sein.

Ist die Wahlfreiheit noch gegeben, wenn künftig berufstätige Eltern neben dem Freibetrag noch ihre angefallenen Betreuungskosten absetzen können?

Ja, denn die Eltern, die das klassische Rollenmodell leben, profitieren ja weiterhin vom Steuerfreibetrag und dem Ehegattensplitting. Sie werden also bei einer Neuregelung nicht schlechter gestellt.

Aber werden nicht berufstätige Eltern künftig gezielt bevorzugt?

Nein. Ich will das an einem Beispiel erläutern. Wenn zwei Ehegatten zusammen 20.000 Euro verdienen, aber 2.000 Euro für Kinderbetreuung ausgeben, dann steht ihnen weniger Geld zur Verfügung, als wenn in einer klassischen Ehe das Familieneinkommen 20.000 Euro beträgt, aber keine Kosten für Kinderbetreuung anfallen. Die berufstätigen Eltern sind hier nun mal weniger leistungsfähig, und das muss berücksichtigt werden.

Das „klassische“ Elternpaar könnte allerdings noch mehr verdienen, wenn beide arbeiten würden …

Das ist im Steuerrecht unerheblich. Da geht es um reale Vorgänge, nicht um hypothetische Einkommen.

Freut es Sie, dass die SPD nun ihre Kritik am Karlsruher Urteil von 1998 aufzunehmen scheint?

Natürlich.

Manche CDUler und auch vereinzelte Verfassungsrechtler sehen ein Problem darin, dass zwei Monate des Elterngeldes nur dann bezahlt werden sollen, wenn der Vater zu Hause bleibt und sich um das Kind kümmert – zu viel Dirigismus?

Nein. Denn im Grundgesetz steht seit 1994 auch ein Auftrag, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern. Nichts anderes macht der Staat, wenn er Anreize gibt, dass Väter mehr Verantwortung bei der Kindererziehung übernehmen. Ein unzulässiger Eingriff in die Selbstbestimmung läge nur vor, wenn Väter oder Mütter verpflichtet und gezwungen würden, zwei Monate zu Hause zu bleiben.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH