Köhler mag auch Homo-Eltern

Bundespräsident Köhler hält in Tutzing eine Grundsatzrede zur Familienpolitik. Die CDU überholt er dabei spielend – auch mit einer Würdigung homosexueller Elternschaft

BERLIN taz ■ Wer eher konservative Deutsche familienpolitisch vertreten möchte, sieht sich in einem Generationendilemma. Bei einem der typischen Spagate, mit denen die ältere Klientel mit traditionellen Rollenvorstellungen beruhigt, aber die jüngere auch angesprochen werden soll, konnte man jüngst der CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen zusehen. Gestern Abend versuchte sich Bundespräsident Horst Köhler in dieser Übung – und er zeigte Mut.

In der Evangelischen Akademie Tutzing hielt er eine Ansprache namens „Von der Freiheit, Kinder zu haben“. Darin: Viel Herzwärmendes für die älteren WählerInnen – aber auch bemerkenswerte Aufrufe zur Modernisierung des Familienbildes. So findet man neben den „Kindern als Gottesgeschenk“ und der „Familie als Keimzelle der Gesellschaft“ auch die Forderungen an Männer, Unternehmen und Gesellschaft, Väter in der Vaterrolle ernst zu nehmen und ihre Elternzeit zu unterstützen.

Eine Meister-Parallelaktion auch seine Definition von Familie: „Familie ist da, wo Kinder sind.“ Das ist die vor einigen Jahren von der SPD abgeschriebene CDU-Definition. „Leitbild“ sei für Köhler „die Ehe mit Kindern“. Das ist alte CDU pur. Aber nur einen Satz zuvor erklärt er: „Kinder auf das Leben vorzubereiten, das kann in ganz unterschiedlichen Strukturen gelingen: in der Ehe, in nicht ehelichen und auch gleichgeschlechtlichen Familien, in Patchwork- oder Einelternfamilien.“

Das klingt, als spreche sich der Bundespräsident für das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare aus. Die CDU-Linie ist hier auf jeden Fall verlassen. Da aber gleich darauf eine lange Passage über Familienprobleme und zu viele Schwangerschaftsabbrüche folgt, mögen die geneigten ZuhörerInnen am Mittwochabend vielleicht kurz aufgemerkt haben, um dann wieder von gewohnten Weisen über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie umhüllt zu werden.

Insgesamt präsentiert sich Köhler als Modernisierer mit Herz – und das ist durchaus etwas, das mehr der jungen CDU aus der Seele spricht. Es ist für ihn keine Frage, dass die Realität der institutionellen Kinderbetreuung „himmelweit“ von dem entfernt ist, was das Land bräuchte. Sein Aufruf an Unternehmen, mehr für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun, bleibt nicht einfach Appell: Das Bundespräsidialamt selbst will sich dem Zertifizierungsprozess für das „Audit Beruf und Familie“ unterziehen. Dieses Prädikat wird an Unternehmen und Institutionen verliehen, die ihren Mitarbeitern etwa über flexible Arbeitszeit oder Kinderbetreuungsideen das Kinderhaben erleichtern. Ein Bundespräsident, der hier mit gutem Beispiel vorangeht – das ist ein historisches Novum.

Die familienpolitischen Beschlüsse der Regierung weisen, so Köhler brav, „in die richtige Richtung“. Welche Beschlüsse?, möchte man fragen. Das Kabinett entschied gestern, dass die Kinderbetreuungskosten nun doch wie großkoalitionär vereinbart abgesetzt werden sollen. Danach können erwerbstätige Eltern für jedes Kind bis zum sechsten Geburtstag Kosten für die Betreuung oberhalb von 1.000 Euro im Jahr absetzen. Sind die Kinder zwischen sechs und 14 Jahre alt, können vom ersten Euro an Betreuungskosten abgesetzt werden.

Doch dieser Beschluss wird wohl im Parlament noch einmal verändert. Die SPD streitet dafür, auch die Kleinkinderbetreuung vom ersten Euro an absetzbar zu machen. Doch dem Bundespräsidenten, das ist nach seiner Rede klar, sind solche Trippelschritte in der Familienpolitik auf jeden Fall zu wenig. Der Modernisierer Köhler hat gegen die zögerliche Familienpolitik der Regierung nicht nur den Spagat eleganter hinbekommen, er setzte sogar noch zu weiteren Sprüngen an. HEIDE OESTREICH