Operation Kassenkampf

20.000 Ärzte demonstrierten gestern in Mitte gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Obwohl die Hälfte der Praxen geschlossen war, kam es zu keinen Engpässen bei der Versorgung der Patienten

VON MARTIN REISCHKE

Es war eine der größten Ärztedemonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik. Rund 20.000 Mediziner zogen nach Polizeiangaben gestern vom Maritim-Hotel in der Stauffenbergstraße bis zum Bundesgesundheitsministerium in der Wilhelmstraße, um gegen schlechte Arbeitsbedingungen und finanzielle Einbußen zu protestieren.

Dabei richtete sich die Wut der Demonstranten vor allem gegen die Gesundheitsministerin selbst: „Ulla Schmidt muss weg“, skandierten all diejenigen, die es noch in die Auftaktveranstaltung im großen Saal des Maritim-Hotels geschafft hatten. Die Mehrheit der Mediziner blieb wegen Überfüllung ausgesperrt. Sie mussten draußen auf den Beginn des Demonstrationszugs warten.

Die Ärzte kritisierten besonders die ihrer Meinung nach zunehmende Bürokratie und die sinkenden Einkommen sowie die Budgetierung der Gesundheitsausgaben. „Wenn es nach der Konjunktur ginge, müssten wir im Geld schwimmen“, sagte der Kieler Urologe Lutz Dadaniak, der extra für die Demo nach Berlin gereist war. „Aber trotz steigender Patientenzahlen haben wir Umsatzeinbußen.“

Auch Berlins Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) äußerte Verständnis für die Protestaktionen und den Unmut niedergelassener Ärzte. Nach Ansicht der Senatorin wurde eine grundlegende Reform des deutschen Gesundheitssystems durch das Gerangel der Regierungsparteien SPD und CDU „zu lange verschleppt“.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wehrte sich gegen die Vorwürfe der Demonstranten. „Für die Honorarverteilung und auch die bürokratischen Auswüchse kann man die Bundesregierung nicht an den Pranger stellen“, sagte Schmidt.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beteiligten sich auch rund 3.000 Berliner Ärzte und Arzthelfer an den Protesten, etwa die Hälfte aller Hauptstadt-Praxen blieb geschlossen. In einzelnen Fachgebieten, wie zum Beispiel bei den Augenärzten, lag die Beteiligung sogar noch weit höher.

Trotzdem kam es zu keinen Engpässen bei der medizinischen Versorgung der Patienten. Für den Protesttag war die Zahl der Ärzte im Bereitschaftsdienst vorsorglich aufgestockt worden. Auch die Rettungsstelle der Charité behandelte nach eigenen Angaben nicht mehr Notfälle als gewöhnlich.

„Die Patienten haben Verständnis dafür, dass die Ärzte Druck machen müssen, damit die Mittel anders verteilt werden“, sagte die Berliner Patientenbeauftragte Katrin Stötzner. „Kein Verständnis haben sie jedoch dafür, dass der Streit auf ihrem Rücken ausgetragen wird.“ Stötzner spielt damit auf vermehrte Klagen an, dass Patienten sich als Spielball zwischen Ärzten und Krankenkassen fühlen. Oft komme es bei der Frage der Finanzierung einer Behandlung zum Streit zwischen den beiden Parteien.

Robert Tausch-Treml fordert klare Ansagen von der Politik: „Man darf nicht so tun, als wenn das Ganze nur ein Ausgaben- und Verteilungsproblem wäre“, sagt der HNO-Arzt aus Kreuzberg. In den vergangenen drei Jahren seien seine Einnahmen von den Krankenkassen um 30 Prozent zurückgegangen. „Wenn wir keine Privatpatienten hätten, dann hätten wir den Laden schon dichtgemacht“, so Tausch-Treml.

An eine Verbesserung der Situation glaubt er nicht: „Wenn immer weniger Geld ins Gesundheitssystem fließt, dann können wir die Qualität nicht halten, dann wird es eine Zweiklassengesellschaft geben.“

Gestern Abend wollten sich die niedergelassenen Ärzte aus Berlin zu einer Vollversammlung im Audimax der Technischen Universität treffen, um über weitere mögliche Protestaktionen zu beraten.