Kuckensema
: Beim 11. Internationalen Symposium im Filme geht es um Reiseerfahrungen im Kino

Im Grunde ist ja ein Kinobesuch immer eine virtuelle Reise. Bei jedem Hollywoodfilm landen wir etwa, sobald das Licht ausgeht, in einer amerikanischen Realitätsebene. Und dies ist schon so selbstverständlich, dass wir kaum noch darüber nachdenken. Wir reisen in andere Zeiten, soziale Milieus und Welten, sodass man den Titel des diesjährigen Bremer Symposiums zum Film „Bis ans Ende der Welt...“ gleich hinterfragen muss, denn dieser Endpunkt wird in Zeiten der am Computer generierten Bilder höchstens noch durch die mangelnde Phantasie der Filmemacher gesetzt.

Kein Wunder also, dass das Kino so viel vom Reisen erzählt. Schon im ersten Film der Gebrüder Lumiére, „Die Ankunft eines Zuges im Bahnhof von La Ciotat“ wurde es thematisiert, und schnell gab es Genres, in denen von Kutschfahrten durch den Wilden Westen, Flügen zu fernen Planeten, Touren mit schnellen Autos und Expeditionen in exotischen Ländern erzählt wurde. Um diese verschiedenen Reiseerfahrungen spürbar zu machen, entwickelte die Filmindustrie bald den „Traveling shot“. Die Kamera wurde dafür auf das reisende Vehikel, also den Zug, die Kutsche, das Auto, das Boot oder Flugzeug montiert, und so zog nicht nur die durchreiste Landschaft am Auge des Zuschauers vorbei, sondern er bekam auch einen sinnlichen Eindruck von der Bewegung. Der Filmhistoriker Tom Gunning untersucht im ersten Vortrag des Symposiums am Freitagnachmittag den Einsatz dieser Technik im frühen Kino und passend dazu werden im Film „Where to place the Camera?“ 24 entsprechende Beispiele aus den Jahren zwischen 1896 und 1902 gezeigt. Durch diese Methode, jeweils zum Vortrag einen ihn illustrierenden Film zu zeigen, unterscheidet sich das Bremer Symposium zum Film von anderen filmwissenschaftlichen Veranstaltungen. Es findet nicht an einem Hörsaal, sondern in einem Kino statt und wird in Kooperation von der Universität Bremen und dem Kommunalkino Bremen organisiert. Dadurch ist es keine reine Fachtagung, es kommen auch viele interessierte Filmliebhaber zu den Vorträgen und Vorstellungen, und die Referenten schätzen die offene, nicht allzu akademische Atmosphäre, sodass auch Stars der Zunft sich mit dem eher bescheidenen Vortragshonorar zufrieden geben, das die Organisatoren zahlen können.

Und das Thema ist so weit gefächert, dass überraschende Aspekte behandelt werden. Heide Schlüpmann von der Uni Frankfurt berichtet etwa in ihrem Referat von den „Wanderkinos“, die im frühen 20. Jahrhundert von Ort zu Ort zogen und von Vorführern betrieben wurden, die aus dem Milieu der Schausteller kamen. Alastair Philips von der Universität Reading erzählt in seinem Vortrag „Paris under the Palm Trees“ von französischen Stars wie Maurice Chevalier und Charles Boyer, die in den 30er Jahren nach Hollywood gingen und sich selber dort ganz neu erfinden mussten, weil ihr Erfolg davon abhing, wie französisch sie für ein amerikanisches Publikum wirkten. Die Medienhistorikerin Annette Deeken untersucht unter dem Titel „Schöne Fremde“ die Ästhetik von Reisefilmen, und Drehli Robnik aus Wien analysiert die Fluchtpunkte von Roadmovies, die er in einer „innigen Verflechtung von Film, Straße, Erfahrung und Sich-Verfahren“ sieht. Der offensichtliche Film zu diesem Vortrag wäre natürlich „Easy Rider“ gewesen, aber es spricht für die Organisatoren, dass sie statt dieses garantierten Kinofüllers den viel seltener gezeigten „Two-Lane Blacktop“ zeigen, der etwa zur gleichen Zeit entstand und in dem Regisseur Monte Hellman ein Autorennen quer durch Amerika als eine existentialistische Parabel inszeniert. Die legendäre letzte Einstellung ist der Kontrapunkt zum „Traveling shot“: das Bild vom endgültigen Ende der Reise.Wilfried Hippen

Daten und Kurzkritiken der Filme in der Kinotaz, weitere Informationen unter www.kino.de im Internet