Freier werben

In der EU wächst der Widerstand gegen die umstrittene EU-Fernsehrichtlinie zur Liberalisierung des Werbemarkts

STOCKHOLM taz ■ Der im Dezember von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine neue Fernsehrichtlinie dürfte scheitern. Nach dem Willen der Kommission sollte es u. a. keinerlei Restriktionen geben, wann und wie oft in Unterhaltungs- und Sportsendungen Werbepausen eingelegt werden, und auch gezielte Produktplatzierung erlaubt werden. In dieser Form wird der Entwurf im Ministerrat aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die erforderliche Mehrheit finden, weil sich mittlerweile die „kleinen“ EU-Länder zusammen mit Polen auf schwedische Initiative hin zusammengetan haben, um diese zu stoppen. Um in Kraft zu treten, müssen Ministerrat und Parlament die Richtlinie absegnen.

„Im Ministerrat haben wir mit 125 Stimmen eine blockierende Minorität, eigentlich sind dafür nämlich nur 90 Stimmen erforderlich“, erklärte jetzt Filippa Arvas Olsson, Abteilungsleiterin beim schwedischen Kultusministerium, gegenüber der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter. Dreizehn Länder – neben Schweden, den baltischen Staaten und Polen sind das Österreich, Irland, Malta, Slowenien, Portugal, Belgien, die Niederlande und Tschechien – hätten ihre Bedenken schon im Vorfeld der EU-Kommission präsentiert, aber kein Gehör gefunden.

Nach dem Vorschlag der 13 soll es zum einen den einzelnen EU-Ländern überlassen bleiben, wie genau sie den TV-Werbemarkt regulieren. Zum anderen soll die geltende EU-Fernsehrichtlinie teilweise verschärft werden. Maßgeblich für die Ausgestaltung der Werbung sollen demnach die Vorschriften des Landes sein, in dem ein Kanal sein hauptsächliches Zielpublikum hat. Derzeit senden beispielsweise formal in Großbritannien mit seinen liberaleren Werbebestimmungen beheimatete TV-Sender ausschließlich Programme, die auf ein Publikum in den skandinavischen Länder gerichtet sind, um die dort geltenden strengeren Werbevorschriften zu umgehen. Nach dem Willen der EU-Minderheit wäre London in Zukunft verpflichtet, auf die Einhaltung schwedischer Werbeverbote bei diesen britischen Sendern zu drängen.

Die Vorschläge der 13 würde die EU-Richtlinie fundamental ändern, wird Ross Biggam vom europäischen Verband kommerzieller TV-Sender (ACTE) von Dagens Nyheter zitiert. Da die Koalition der Kleinen sich aber im Wesentlichen nur in ihrer Ablehnung der jetzigen Vorlage einig ist – und sich hinter dem gemeinsamen „Mehr“ an Regulierungsspielraum für die einzelnen Mitgliedstaaten vermutlich genauso der Wunsch nach restriktiverer als auch nach großzügigerer Reklamehandhabung versteckt –, dürfte es jetzt einen Kuhhandel hinter den Kulissen geben. Mit dem Ziel, die jetzt zusammengefundene Sperrminorität aufzubrechen.

Gegen den ursprünglichen Entwurf hatten bereits die Grünen Widerstand im EU-Parlament angekündigt. Sie vermissen eine klare Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten. Die europäischen Zeitungsverleger befürchten, dass eine umfassende Genehmigung von Placements einen Glaubwürdigkeitsverlust für alle Medien mit sich bringe – und eine weitere Verlagerung des Werbegeschäfts weg von Print hin zum Fernsehen. REINHARD WOLFF