Die ewige Nummer zwei

Der Hannoveraner Friedbert Pflüger wird CDU-Spitzenkandidat. Damit wird ein als innenpolitisch liberal geltender Außenpolitiker das Zugpferd der piefigen Hauptstadt-Union. Doch beide Seiten passen nur auf den ersten Blick nicht zusammen. Sie können bei diesem Geschäft nur gewinnen

Das Vorbild seines Lehrmeisters Richard von Weizsäcker prägt Pflüger bis heute – bis hin zu Gestik und Tonfall

VON MATTHIAS LOHRE

Wenn Friedbert Pflüger zeigen will, dass er etwas sehr Wichtiges zu sagen hat, dann senkt er seine Stimme. Leise, aber bestimmt redet er dann, dem unterstellten Ernst der Lage angemessen. Derzeit schweigt der 50-Jährige. Pflüger soll die CDU in den Abgeordnetenhauswahlkampf führen. Die Sache muss ihm sehr wichtig sein.

Am Montag stellt die Hauptstadt-CDU den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium offiziell als ihren Spitzenmann vor. Bis dahin spricht der CDU-Landeschef Ingo Schmitt. „Nach den Gesprächen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass Herr Pflüger hervorragend als Spitzenkandidat geeignet ist.“ Die vierköpfige Findungskommission, die einen Herausforderer des Regierenden Bürgermeisters suchen sollte, hat den Polit-Import gestern nominiert. Alle zuvor nach außen gedrungene Kritik an Pflüger ist in den vergangenen Tagen verstummt. Die Union muss ihrem Kandidaten dankbar sein. Auch wenn er nur die zweite Wahl ist.

Der Hannoveraner rettet die Berliner Parteifreunde aus tiefster Not. Über Monate hat sich die CDU zum Gespött der Stadt gemacht. Ihr Lieblingskandidat, der Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer, ließ den Landesverband über Monate zappeln und sagte erst kurz vor dem Jahreswechsel kühl ab. Seither schwirrten die Namen angeblicher KandidatInnen in spe umher: beispielsweise der von Monika Grütters, Kulturpolitikerin im Bundestag und einem der wenigen Berliner Eigengewächse. Früh brachten liberale Teile der Partei auch Friedbert Pflüger ins Gespräch. Doch anfangs schien er an der Borniertheit der Berliner zu scheitern. Und an deren gutem Gedächtnis.

Als es im Jahr 1991 im Bundestag darum ging, ob die Bundesregierung nach Berlin ziehen soll, stand Pflüger standhaft Wacht am Rhein: Er war für Bonn. Das haben ihm an der Spree viele nicht verziehen. Der Kandidat in spe gibt sich gereift: „Es ist richtig, dass heute Berlin die Hauptstadt ist.“ Und überhaupt: Es müsse erlaubt sein, in 15 Jahren zu Einsichten zu kommen. Interessant ist, wie der Niedersachse auf Kritik an fehlendem Stallgeruch reagieren wird. Auf seiner Internetseite www.friedbert-pflueger.de steht ein Zeitungsartikel aus dem vergangenen Jahr, der Pflüger mit den Worten zitiert: „Hannover ist unser Lebensmittelpunkt geworden.“ Immerhin hat das Bundestagsmitglied eine Wohnung in Berlin.

Auch anderweitig scheint Pflüger auf den ersten Blick nicht recht zur Berliner CDU zu passen. Der Außenpolitiker gilt innenpolitisch als liberal, der Landesverband als provinziell und gestrig. In den 80er-Jahren machte sich das aufstrebende Politiktalent Pflüger für ein liberales Abtreibungsrecht stark. Über das Herrschaftssystem Helmut Kohls schrieb er – wenn auch erst nach der Abwahl des Dauerkanzlers im Jahr 1998 – ein vernichtendes Buch.

Für Berlin propagiert der Wowereit-Herausforderer eine moderne Großstadtpartei, in der sich auch zugezogene CDU-Mitglieder wohl fühlen können. Dasselbe verspricht bereits die bisherige Führungsriege der Partei, die jedoch gleichzeitig eifersüchtig über ihre Machtbasis in den Kreis- und Ortsverbänden wacht. Welchen Hebel will Pflüger umlegen, um daran etwas zu ändern? Ein Posten wäre gut, beispielsweise der des Landesvorsitzenden. Zwar beharrt der allseits für seine Führungsschwäche kritisierte Landeschef Ingo Schmitt weiter auf seinem Job. Doch das muss nicht das letzte Wort sein.

Schmitts Job wäre ein geringer Preis in diesem Tauschgeschäft, denn auf den zweiten Blick passt Pflüger sehr gut zur Hauptstadt-Union. Schon Richard von Weizsäcker verpasste der CDU im Jahr 1981 einen liberaleren Anstrich. Bei seinem Amtsantritt als Regierender Bürgermeister von Westberlin brachte er externe Mitarbeiter mit. Einer davon war Friedbert Pflüger. Er war stets an der Seite seines Lehrmeisters: bis 1984 als persönlicher Referent des Regierenden, nach der Wahl von Weizsäckers zum Bundespräsidenten als sein Pressesprecher. Aus jenen Jahren stammen auch Pflügers bemüht wirkende Gesten und sein präsidialer, dozierender Tonfall. Gute Zeiten für die CDU. Lange sind sie her.

Heute, in der desolaten Lage der Union, hat der ehrgeizige Pflüger nichts zu verlieren. Einen Sieg gegen den populären Kontrahenten Klaus Wowereit erwartet niemand von ihm. Die Union dümpelt in Umfragen bei 20 Prozent. Alles über der Marge würde Pflüger als Verdienst angerechnet, eine Rückkehr ins Bundesverteidigungsministerium stände ihm frei.

Doch was treibt den ewigen Klassenprimus ins aussichtslos scheinende Rennen? Es ist brennender, mitunter quälender Ehrgeiz. In seiner Heimat Niedersachsen wird Pflüger auf absehbare Zeit die Nummer zwei bleiben. Der vier Jahre jüngere Ministerpräsident Christian Wulff ist ihm bei allen landespolitischen Aspirationen im Weg. In Berlin steht ihm innerparteilich niemand entgegen, auch die Unterstützung durch Kanzlerin Angela Merkel ist ihm sicher.

Jetzt muss der Privatmensch nur noch den Weg aus den Schlagzeilen der Boulevardzeitungen finden. Derzeit läuft seine Ehescheidung von der Potsdamer Geschichtsprofessorin Margarita Mathiopoulos. Mit seiner neuen Partnerin hat der 50-Jährige einen kleinen Sohn. Die B.Z. schrie am Donnerstag auf Seite eins: „Pflügers Ehefrau: Ich zahle nichts für Friedbert und seine Geliebte!“

Der Mann, der mit 16 Jahren in die CDU eintrat und bereits 6 Jahre später Chef des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) wurde, wird in den kommenden Monaten aufblühen. Endlich darf er, der sich schon lange alles zutraut, zeigen, was er kann. Nur den präsidialen Tonfall und die leise Stimme kann er dabei nicht gebrauchen.

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