Keine Straßenbahn nach Polen

Frankfurter Bürger stimmten mit 83 Prozent gegen eine Straßenbahn in die Nachbarstadt Słubice. Stadtverwaltung: „Vielleicht haben wir nicht nachhaltig und offensiv genug informiert.“ Angst vor Verstimmung in deutsch-polnischen Beziehungen

AUS FRANKFURT (ODER) BENJAMIN GÖGGE

Es ist ein Schlag ins Gesicht aller Unterstützer der deutsch-polnischen Beziehungen. Die Bürger in Frankfurt (Oder) haben am Sonntag mit 83 Prozent der Stimmen sehr eindeutig gegen eine Straßenbahn in die polnische Nachbarstadt Słubice gestimmt. Obwohl die Bürgerbefragung nur empfehlenden Charakter hat, werden sich die Stadtverordneten dieser Entscheidung nicht entziehen können. Die Konsequenzen für die deutsch-polnischen Beziehungen sind noch nicht abzuschätzen.

Der Schock sitzt tief. Mit 83 Prozent Gegenstimmen haben selbst die größten Pessimisten nicht gerechnet. Bei einer Beteiligung von 30 Prozent erhält diese Entscheidung zusätzliche Brisanz, für eine lokale Befragung ohne verbindlichen Charakter ein erstaunlicher Wert. Am Abend der Entscheidung erklärte Oberbürgermeister Martin Patzelt, das Projekt grenzüberschreitende Straßenbahn sei für Jahre gescheitert.

Eigentlich war die Entscheidung schon gefallen. Im Februar 2005 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, das lange umstrittene Projekt auf den Weg zu bringen. Erwartete Mehrkosten ließen die Diskussion im Sommer neu entflammen, man beschloss, die Bürger zu befragen. Die Befragung ist für die Stadtverordneten eigentlich nicht bindend, aber „an diesem knallharten Votum kommen die Stadtverordneten nicht vorbei“, konstatiert der Frankfurter Pressesprecher Heinz-Dieter Walter resigniert.

Über die Ursachen ist man sich nicht im Klaren. Die Stadt vermutet, dass den Bürgern der Neubau keine 800.000 Euro wert war, und sucht nach Fehlern in der eigenen Informationsvermittlung: „Vielleicht haben wir nicht nachhaltig und offensiv genug informiert und auch nicht alle Köpfe erreicht“, so Walter.

Krzysztof Wojciechowski, Direktor des deutsch-polnischen Instituts Collegium Polonicum in Słubice, sieht die Ursachen in der allgemeinen Resignation in ganz Deutschland und besonders in Frankfurt (Oder) begründet, „Frankfurt hat die Reste seiner Vitalität verloren, die Bürger glauben nicht mehr an die Zukunft“, folgert er.

Die Abstimmung über die Straßenbahn nach Słubice war die erste Bürgerbefragung dieser Art in Frankfurt (Oder). Auf den Stimmzetteln zur Abstimmung über die Straßenbahn konnte man am Sonntag nur die Frage lesen, ob die Straßenbahn nach Słubice verlängert werden soll, wenn bestimmte finanzielle Eckpunkte eingehalten werden.

Viele Frankfurter verbanden mit der Abstimmung jedoch andere Fragen. Einige wollten das Geld in soziale Projekte investiert wissen, andere dachten, dass bestimmte Frankfurter Stadtteile weniger bedient werden, einige meinten, dass die Kontrollen an der Grenze zu aufwändig wären. Viele dieser Bedenken waren unbegründet.

Schließlich gibt es auch Frankfurter, die keine Notwendigkeit für eine Straßenbahn oder eine andere Anbindung an die polnische Nachbarstadt sehen.

Auf beiden Seiten der Oder wünscht man sich, dass die Abstimmung nicht falsch verstanden wird. Nach den kritischen Kommentaren des Słubicer Bürgermeisters Ryszard Bodziacki zur geplanten Befragung ist die lokalpolitische Lage gespannt. Pressesprecher Walter hofft, dass es nicht zu „langfristigen Verstimmungen“ kommt. Wenn sich nichts ändert, sieht Wojciechowski Frankfurt und Słubice zur „tiefsten Provinz in der Mitte von Europa“ werden, aber er baut auf neue Impulse von der polnischen Seite. Der studierte Philosoph und Soziologe Wojciechowski hofft, dass die Abstimmung nicht als „antipolnischer Akt“ verstanden wird.