„Rechtsextremismus wird Alltagskultur“

Rechtsextreme gehören in vielen Stadtteilen in Nordrhein-Westfalen zum Straßenbild. Rechtsextremismus-Forscher Martin Langebach über lockende Machtgefühle und eine demonstrationsmüde Bevölkerung

taz: Herr Langebach, in NRW werden immer mehr rechtsextreme Straftaten verübt. Ein Strategiewechsel der rechten Szene?Martin Langebach: Eine zentrale rechte Strategie gibt es nicht, die verschiedenen Organisationen handeln weitestgehend unabhängig voneinander. Was sich in NRW verändert hat, ist die Präsenz der Rechte: Sie ist deutlich gestiegen, ebenso wie das rechte Selbstbewusstsein. Vor allem im Raum Dortmund entstehen Territorien, in denen Rechtsextreme regelmäßig öffentlich auftreten und schon zum alltäglichen Straßenbild gehören – Phänomene, die man bislang nur aus Ostdeutschland kannte. Die verstärkte Präsenz geht natürlich einher mit Verstößen gegen die Verfassung.

Woher kommt das gestiegene Selbstbewusstsein?Vor allem durch den ebenfalls gestiegenen Zuwachs. Gleichzeitig wird den Rechtsextremen immer weniger entgegengesetzt, weil sie langsam aber sicher zum Bestandteil des Alltags werden. Je häufiger es rechtsextreme Demonstrationen gibt, desto weniger Menschen gehen zu Gegendemonstrationen. Das kann man inzwischen leider beobachten. Die Leute haben eben keine Lust mehr, jedes Wochenende zu einer Demo zu gehen. Rechtsextremismus ist eine Alltagskultur geworden, was ihn besonders gefährlich macht, weil er so immer breitere Bevölkerungsschichten erreichen kann.

Wie funktioniert denn der Einstieg in die rechte Szene?Rekrutierung läuft in erster Linie über Rechtsrock und im Ruhrgebiet noch über die Fußball-Hooliganszene. Angesprochen werden vor allem junge Erwachsene, denen über diese Subkulturen rechtsextreme Einstellungen nahe gebracht werden.

Was macht Rechtsextremismus attraktiv für diese jungen Erwachsenen?Sie fühlen sich in einer Gruppe stark, weil sie merken, dass sie Macht ausstrahlen und Angst machen können. Wenn einem fünf junge männliche Rechtsextreme entgegenkommen, wechseln die meisten die Straßenseite. Gerade für manche Männer ist so ein Machtgefühl erstrebenswert. Aber auch Frauen fühlen sich zunehmend davon angezogen.

Spielt auch die angespannte wirtschaftliche Situation eine Rolle?Rechtsextremismus wird häufig mit Arbeitslosigkeit erklärt. Das ist aber zu einfach. Der größte Teil der Rechtsextremen ist gar nicht, wie oft angenommen, arbeitslos. Das erkennt man, wenn man rechtsextreme Einstellungen in Gewerkschaften untersucht. Rechtsextreme sprechen häufig das Thema Arbeitslosigkeit an, weil sie sich in Regionen wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet die Zustimmung der sozial Unzufriedenen versprechen. Rechtsextremismus existiert jedoch auch unabhängig von Arbeitslosigkeit. Deshalb ist dieser Erklärungsansatz auch gefährlich: Er verkennt, wie breit rechtsextremes Gedankengut in der Gesellschaft verankert ist.

Wie kann das Land NRW auf die rechtsextremen Tendenzen reagieren?

Dadurch, dass Initiativen gegen Rechts konsequent unterstützt werden – sowohl ideel als auch materiell. Es ist wichtig, dass die rechtsextreme Präsenz nicht unbeantwortet hingenommen wird. Deshalb ist es wichtig, weiterhin so viele Menschen wie möglich zu motivieren, gegen Rechts auf die Straßen zu gehen. NRW ist das bevölkerungsreichstes Bundesland: Es ist kein Wunder, dass die Rechten hier einen Schwerpunkt legen. Dafür gibt es auch genügend Leute, die Zeichen dagegen setzen können.

INTERVIEW: MIRIAM BUNJES