Körtings unaufgeregter Islamismus-Kampf

Keiner seiner Amtskollegen geht so besonnen mit dem Thema Islamismus um wie Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Statt auf repressive Maßnahmen von außen setzt er auf die Dialogbereitschaft gemäßigter Kräfte von innen. Mit Erfolg

Das Problem nimmt er ernst, von überzogener Aufgeregtheit ist keine Spur: Innensenator Ehrhart Körting (SPD) geht erstaunlich besonnen mit dem Thema Islamismus um. Erstaunlich, weil sich seit dem 11. September 2001 kein Thema besser eignet, an den Stammtischen Panik zu schüren. Viele seiner Amtskollegen – insbesondere aus dem Süden der Republik – haben davon eifrig Gebrauch gemacht.

Zwar wies auch Körting in den vergangenen Jahren regelmäßig darauf hin, dass es selbstverständlich in Berlin ein Potenzial von islamistischen Terroristen gebe. Er fügte aber stets hinzu, dass es sich bei den meisten Leuten, die Hinweise auf geplante Anschläge geben, um Wichtigtuer und Störenfriede handele. Das mache seiner Behörde die Arbeit zwar nicht leichter. Es gebe praktisch aber keine konkreten Hinweise auf radikalisierte Glaubensbrüder, Werber von Terrorgruppen oder mögliche Attentäter, wie er mehrfach betonte.

Die Statistik gibt Körting Recht: Die Zahl der registrierten Gewaltdelikte im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität liegt seit Jahren konstant bei rund 30 Fällen im Jahr – und auch davon sind nicht alle islamistischen Ursprungs. Selbst bei Delikten wie Volksverhetzung, Verstößen gegen das Versammlungsrecht oder Sachbeschädigungen lagen die Zahlen mit jährlich rund 100 in überschaubarem Rahmen. Zum Vergleich: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist zehnmal so hoch.

Was Körtings Maßnahmen vor allem auszeichnet: Er sucht den Kontakt zu potenziellen Tätergruppen und stattet einigen der 20 vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestuften Moscheen einen Besuch ab. Diese Vorgehensweise hat der ihm unterstellten Verfassungsschutzbehörde in den vergangenen Jahren enorme Einblicke in die schwer überschaubare Szene ermöglicht. Dabei differenziert er nicht nur zwischen Muslimen und Islamisten – was bei vielen seiner Kollegen immer noch nicht selbstverständlich ist. Viele Fundamentalisten würden auf völlig ungerechtfertigte Weise mit Attentätern gleichgesetzt, findet Körting. Diese Fehleinschätzung sei gefährlich für die Sicherheit. Dabei gelte es, fundamentalistische Gruppen wie Milli Görüs oder die Muslimbruderschaft nicht auszugrenzen und so in die terroristische Richtung zu al-Qaida zu drängen. Er habe Erkenntnisse, dass sich Mitglieder von Milli Görüs auf dem Weg zu einem westlichen Islam befinden. Dies müsse unterstützt werden.

Trotz aller Entwarnungen: Körting nimmt die Gefahren, die vom Islamismus ausgehen, ernst. Bloß setzt er nicht auf klassische Strategien wie Isolierung und Bekämpfung des Islamismus mit repressiven Maßnahmen von außen. Anstatt die Angehörigen von vornherein zu verteufeln, hofft er auf ihre Dialogbereitschaft. Beraten wird er dabei von Islamismusexperten wie Werner Schiffauer von der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Dieser empfiehlt, den Islamismus von innen zu überwinden. Es gelte, die durchaus vorhandenen gemäßigten Kräfte innerhalb islamistischer Organisationen zu stärken.

Erste Schritte sind getan: Seit dem 16. November gibt es das von dem Ausländerbeauftragten Günther Piening ins Leben gerufene „Islamforum“. An der Gesprächsrunde nehmen neben vielen islamischen Verbänden auch Kirchen und Vertreter des Landeskriminalamts teil. „Das ist ein guter Anfang“, so Körting. „Je weiter wir uns auf eine klare und offensive Abgrenzung von Terroristen zubewegen, umso mehr trocknen wir den Boden für diese Gewalttäter aus“, hat er nach der Gründung des Forums gesagt. Erste Gespräche hätten bereits zu mehr Nachdenklichkeit geführt – und zwar auf allen Seiten. FELIX LEE