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: Schnell und dreckig: „Mädchen am Sonntag“ von RP Kahl

Der Regisseur mag seine Darstellerinnen! Das sieht der Zuschauer gleich in den ersten Einstellungen des Films. Aber viel wichtiger ist, dass es auch die vier jungen Schauspielerinnen selber gespürt haben, die RP Kahls in seinem Dokumentarfilm „Mädchen am Sonntag“ porträtiert.

Darum wirken sie so entspannt, deswegen plaudern sie so natürlich, offen und uneitel in die Kamera hinein, deswegen wirken alle vier Teile des Films wie von einem Freund gedreht. Laura Tonke, Katharina Schüttler, Inga Birkenfeld und Nicolette Krebitz gehören zu den jungen Gesichtern des deutschen Kinos, bei denen man (noch?) nachdenken muss, in welchem unabhängigen Film, in welcher Fernsehproduktion oder Theaterinszenierung man sie schon einmal gesehen hat. Sie sind nicht so präsent wie Julia Jentsch oder Alexandra Maria Lade und müssen sich gehörig abstrampeln, um Rollen zu ergattern. Von diesen Unsicherheiten erzählen sie in Interviewsequenzen, bei denen sie sich auch immer selber inszenieren. Und der Film zeigt sie in ihrer Freizeit: beim Spaziergang am Strand, in einem Winterwald, in einer Galerie oder in der Badewanne. Dabei spielen sie natürlich ebenfalls immer für die Kamera, und es ist ganz bestimmt kein Zufall, wenn Nicolette Krebitz mit gestreiftem Sweater und Kurzhaarschnitt wie Jean Seberg aussieht.

Schon der Titel verweist auf das Vorbild für diesen essayistischen Film: 1929 drehten die späteren Hollywoodregisseure Billy Wilder, Robert Siodmak, Fred Zinnemann und Edgar G. Ulmer zusammen den avantgardistischen Stummfilm „Menschen am Sonntag“, in dem sie halbdokumentarisch Spielszenen mit authentischen Beobachtungen aus dem Milieu der Angestellten mischten. Der Ansatz von RP Kahl ist ähnlich, denn auch er hat eher assoziativ als dramaturgisch montiert und versucht sich selber als den Filmemacher so weit wie möglich aus dem Film herauszunehmen, indem er die jungen Frauen vor der Kamera tun lässt, was ihnen gerade einfällt, und man auch nie seine Fragen hört, auf die sie offensichtlich bei den Gesprächssequenzen antworten.

Statt dessen gibt es Zwischentitel mit den allernotwendigsten Informationen, und die hätte man sich manchmal etwas ausführlicher gewünscht, denn nicht jeder weiß, dass der „Peter“, für den Katharina Schüttler als „Lolita“ halbnackt auf der Bühne stand, die Regielegende Peter Zadek war. Von ihren Erfahrungen damit, nackt auf der Bühne oder vor der Kamera zu agieren, erzählen gleich drei Schauspielerinnen, und alle vier schildern ganz ähnliche Angstphantasien davon, wie sie schließlich doch vor aller Augen als untalentierte Blenderinnen entlarvt werden. Diese Unsicherheit, dieses sich ständige Infragestellen verbindet die vier jungen Frauen, die sich ansonsten bei ihren Selbstinszenierungen doch so bemühen, einen eigenen Stil, eine eigene Aura zu kreieren.

Als Vorbild wird da gleich zweimal Jeanne Moreau erwähnt, aber die ja auch keine direkte Konkurrentin mehr ist. Inga Birkenfeld spricht davon, dass sie schon sehr früh lernte, „sich selber als Instrument“ zu sehen, und im Laufe des Films hinterfragt man immer mehr die scheinbar so authentische Spontaneität der Protagonistinnen. Wie gut muss man schauspielern können, um so natürlich zu wirken?

„Mädchen am Sonntag“ ist nach zwei Kurzfilmrollen die dritte Produktion des Projekts 99-Euro-Films, das 2001 von Thorsten Neumann und RP Kahl beim Filmfest Oldenburg entwickelt wurde. Mit geringstem Budget, schnell und dreckig mit einer Digitalkamera gedreht, ist der Film ein schöner Beweis dafür, dass das Kino inzwischen nicht mehr unbedingt die teuerste Kunstform sein muss.

Wilfried Hippen