Die Beraterbank der SS

Bis 1997 klammerte sich die Bank an eine Legende: die Nazis waren es, wir nicht

VON STEFAN REINECKE
UND CHRISTIAN SEMLER

Am 27. Januar 1945 stießen Soldaten der Roten Armee bei ihrem Vormarsch nach Westen in einem Ort bei Krakau auf ein Lager. Es war weitgehend verlassen. Achttausend meist apathische, halb verhungerte Häftlinge waren noch dort. Die SS hatte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geräumt. Über eine Million Menschen wurden dort ermordet.

Die Infrastruktur für den industriellen Massenmord hatte unter anderem die Breslauer Firma Huta geliefert. Im Sommer 1942 hatte der Baukonzern in Auschwitz den Auftrag übernommen, Krematorien mit integrierten Gaskammern zu bauen – das Herzstück der Vernichtungsmaschine. 133.741,65 Reichsmark kassierte die Firma dafür von der SS-Zentralbauleitung. Im April 1943 beendeten Huta-Arbeiter ihr Werk, indem sie die Türen der Gaskammern einsetzten. Hinter der Huta stand ein einfluss- und traditionsreiches Unternehmen: die Dresdner Bank, die Großaktionär bei der Firma war und den Aufsichtsratsvorsitzenden stellte. Ohne die Bank ging nichts bei der Huta.

Die Huta ist nur ein Mosaikstein in einem finsteren Bild – der engen Verflechtung von Dresdner Bank und NS-Staat. Die Bank wickelte einen Großteil der Bankgeschäfte der SS ab und profitierte von der Expansion des Reiches im Osten. Kein anderes Geldinstitut, auch die Deutsche Bank nicht, war so direkt in die Verbrechen des NS-Staates involviert. Das ist das Resümee einer fast 2.400 Seiten starken historischen Studie über die Rolle der Dresdner Bank 1933 bis 1945. Die Bank hatte sie 1997 unter öffentlichem Druck in Auftrag gegeben. Die Lektüre dürfte für einige in der Dresdner Bank eine echte Überraschung sein.

Denn fast fünfzig Jahre lang war es der Bank gelungen, eine geradezu Schwindel erregende Fälschung der eigenen Firmengeschichte in Umlauf zu halten. Nach 1945 gelang es, trotz des schon damals erdrückenden Beweismaterials, eine zweckmäßige Entschuldungslegende durchzusetzen. Schuldig gemacht hätten sich allenfalls Einzelne, etwa der Vorstandssprecher Karl Rasche, der vor dem Nürnberger Militärtribunal verurteilt wurde. Die Bank als Ganzes hingegen sei in schwieriger Zeit und trotz des Drucks des NS-Systems anständig geblieben. Das hatte mit der Realität wenig zu tun, wurde aber Ende der Vierziger gern geglaubt. Der Kalte Krieg hatte begonnen, und in Westdeutschland fragten auch die Alliierten längst nicht mehr so genau nach wie noch 1945.

Diese Legende erwies sich als erstaunlich wetterfest. Noch 1992, zum 120. Firmenjubiläum, entwarf das Unternehmen das Bild der noblen Bank, die nur widerstrebend zur Kooperation mit dem NS-System gezwungen worden war. Unter Druck geriet das Unternehmen erst 1997, wie viele andere deutsche Konzerne auch. Damals überging der Vorstandssprecher in seiner Rede zum 125. Jubiläum der Einfachheit halber die NS-Zeit, was in der Öffentlichkeit nicht gut ankam. In den USA drohten millionenschwere Sammelklagen gegen die Bank und ein Imageschaden. Damals entschloss sich die Bank, eine historische Studie über sich erstellen zu lassen. Im Prinzip verhielt sie sich so wie das Gros der deutschen Konzerne, die erst, als Geschäftsschäden drohten, bereit waren, sich mit Zwangsarbeit und ihrer Geschichte zu befassen.

Mit der Studie „Die Dresdner Bank im Dritten Reich“, verfasst von Johannes Bähr, Dieter Ziegler, Harald Wixforth und Klaus-Dietmar Henke, Letzterer auch in der Funktion des Herausgebers, liegt nun eine präzise wissenschaftliche Darstellung vor. Zwölf Kilometer Akten hatte die Dresdner Bank den Forschern zu Verfügung gestellt, und deren Arbeit mit über einer Million Euro finanziert.

Das Ergebnis ist ein materialreiches Gesamtbild. Der erste der vier Bände (Johannes Bähr) widmet sich der Untersuchung der Bank innerhalb des Wirtschaftsgefüges des Dritten Reiches; der zweite (Dieter Ziegler) ihrer Rolle bei der Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Juden; der dritte (Harald Wixforth) der Expansion der Bank in dem von den Deutschen besetzten Europa. Der vierte Band schließlich (Klaus-Dietmar Henke) entwickelt in einem zweiten, zusammengefassten historischen Durchgang die leitenden Fragestellungen der drei ersten Bände, fasst systematisch deren Ergebnisse zusammen und bewertet sie. Dank dieser Architektur wird der Leser in die Lage versetzt, auch angesichts der Schilderung von komplexen banktechnischen Manövern, den Über- und Durchblick zu behalten

Die Arbeit erschließt über weite Strecken bislang unbekanntes Material – und geht so über die vergleichbare Studie von Harold James zur Deutschen Bank von 2003 hinaus. Untersucht werden auch die Filialen und die Banken der besetzten bzw. annektierten Gebiete, die sich die Dresdner Zentrale einverleibte.

Seine Bedeutung bezieht das Werk vor allem aus seiner stets durchgehaltenen kritischen Fragestellung: Wer waren diese Bankiers? Welche Motive trieben sie? Wie kam die Bank in Regimenähe? Warum wurde sie später zur Mittäterin von Raub und Massenmord? Für die Autoren ist die Antwort klar. Im Vorstand der Dresdner Bank saßen zwar seit 1933 zwei überzeugte Nazis, Emil Meyer und Karl Rasche. Doch entscheidend war etwas anderes: das zweckrationale, gewinnorientierte Handeln unter den wechselnden Bedingungen der Nazi-Herrschaft.

Während der Weltwirtschaftskrise 1929 war die Dresdner Bank nur knapp dem Zusammenbruch entkommen. Danach überlebte sie nur dank der Übernahme durch den Staat, der sie nach privatkapitalistischen Grundsätzen wirtschaften ließ. 1937 wurde sie erfolgreich (im Streubesitz) reprivatisiert. Das Institut hatte vor 1933 ein liberales politisches Profil, der Anteil an Bankern jüdischen Glaubens war hoch. Dieser Mitarbeiter entledigten sich die deutschen Kollegen nach 1933 zügig, so wie auch früh jede vornehme Zurückhaltung vergessen wurde, wenn es um jüdisches Eigentum ging. Dabei kam der Bank zugute, dass einer der Nazi-Neuzugänge im Vorstand, Emil Meyer, über vorzügliche Verbindungen zur SS, der andere, Karl Rasche, über ebenso gute Verbindungen zu dem Machtblock Hermann Görings und dem staatlichen Rüstungskonzern, den Hermann-Göring-Werken, verfügte.

Die Dresdner war direkt in die Verbrechen des NS-Staates involviert

Ebenso wie die Deutsche Bank und die Commerzbank hatte auch die Dresdner Bank anfänglich mit der ideologischen Feindschaft der Nazis gegenüber dem „jüdischen“ Finanzkapital zu kämpfen. Doch nach ihrer „Entjudung“ wurden die Banken in den Dienst der NS-Politik gestellt. Die Nazi-Führung versuchte die drei Großbanken gegeneinander auszuspielen, umgekehrt nutzten die Banken die Rivalität des Göring- und des Himmler-Imperiums für ihre Geschäftsinteressen aus. Dabei, so die Autoren der Studie, gab es verschiedene Phasen der Nazi-Herrschaft. Nach dem Anschluss Österreichs und der Tschechoslowakei waren die deutschen Großbanken noch vonnöten, um bei der Übernahme von Banken und Betrieben durch „Kauf“ und anschließenden Weiterverkauf (mit fetter Provision) den legalen Schein zu wahren. Schließlich handelte es sich im Fall Böhmens und Mährens um eine dichte, von den Nazis intakt gelassene Industriestruktur mit internationalen Verbindungen.

In Polen war dies schon 1940 anders. Dort gab es radikale Enteignungen und eine strikte Kontrolle der Produktionsmittel, so dass den Großbanken für eine eigene Geschäftstätigkeit enge Grenzen gesetzt waren. Diese Lage brachte die Dresdner Bank dazu, sichere Profite im Geleitzug der NS-Ausrottungspolitik zu suchen – und zu finden. Die Verwertung und kontenmäßige Erfassung von Wertgegenständen und Effekten von polnischen Juden, die im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ ermordet worden waren, waren nur der Auftakt. Die Bank wurde Teil der imperialen Politik der Nationalsozialisten im Osten.

Kniffeliger als dieser objektive Befund ist die Frage, wann und wie genau die Bankzentrale über den Holocaust informiert war. Schriftliche Dokumente, die genaues Wissen beweisen, sind naheliegenderweise Mangelware. So gibt es zum Beispiel keinen Beleg, dass die Zentrale der Bank wusste, dass die Huta in Auschwitz Krematorien baute. Umso aufschlussreicher ist, was Emil Meyer, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, 1942 mit dem SS-Obergruppenführer F. W. Krüger besprechen wollte: nämlich „gewisse Sonderaufgaben“ der SS. Das war die gängige Chiffre für die planmäßige Ausrottung vor allem der jüdischen Zivilbevölkerung.

Schritt für Schritt entwickelte sich die Dresdner Bank zur Hausbank der verschiedenen SS-Institutionen. Sie pflegte mit der SS in der Regel „normale“ Geschäftsbeziehungen, bei denen Krediten Sicherheiten gegenüberstehen mussten. Insofern wahrte sie bis zum Schluss das Prinzip betriebswirtschaftlicher Rationalität.

Klaus-Dietmar Henke und seine Mitstreiter behandeln den Zeitraum 1933 bis 45, legen aber einen Schwerpunkt auf die Zeit der „Euphorie“, als den Bankern die Blütenträume der Faschisten in Erfüllung zu gehen schienen. Die expansive Geschäftspolitik jener Phase steht völlig im Gleichklang mit der Nazi-Politik, ist durch keinerlei Einrede zur Vorsicht oder von abwartender Klugheit geprägt, geschweige denn von irgendeiner Regung von Mitgefühl gegenüber den Opfern. Das Verhältnis von NS-Regime und Dresdner Bank war nahezu symbiotisch. Es funktionierte reibungslos zu beiderseitigem Nutzen.