Zwischen Empörung und Angst

Israel reagiert schockiert auf den Sieg der Hamas. Die internationalen Sympathien werden sich durch die Wahl zugunsten Israels verschieben

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

„Schockierend“ sei das Wahlergebnis, ein „Erdbeben“ – so lauteten die ersten Reaktionen in Israel auf die Wende in den Palästinensergebieten. Noch während der Auszählung der Stimmen musste die Fatah die Niederlage eingestehen. Die islamistische Hamas erreichte, aller Voraussicht nach, die absolute Mehrheit der insgesamt 132 Parlamentssitze.

Für viele Wähler mag gerade der Gedanke an die Demokratie und der Wunsch nach einer starken Opposition im Parlament, das Ende der Korruption und der eingefahrenen Strukturen den Ausschlag gegeben haben, die Stimme der Hamas zu geben. Denn höchste Priorität genießt unverändert die Befreiung von der Besatzung und die palästinensische Unabhängigkeit – lange vor Religiosität und Gottesfurcht.

Mit dem Wahlergebnis rückt der Traum vom eigenen Staat in den Grenzen von 1967 jedoch erneut in ungeahnte Ferne. Nicht nur das: Die USA und Europa kündigten die sofortige Einstellung der Finanzhilfen an. „Wo wollen sie jetzt die Gelder für die Gehälter herkriegen?“, kommentierte der israelische Ex-Premierminister Schimon Peres fassungslos das Wahlergebnis.

Die drei führenden israelischen Parteien lehnen einen Dialog mit der Hamas ab. „Wir haben nicht die Absicht, uns vorschreiben zu lassen, eine Organisation anzuerkennen, die die Zerstörung Israels zum erklärten Ziel hat“, meinte Amir Peretz, Chef der Arbeitspartei.

Umgekehrt knüpft die Hamas Kontakte zu Israel an den vorherigen kompletten Abzug aus den besetzten Gebieten, die Auflösung aller jüdischen Siedlungen und eine Lösung für die Flüchtlinge, „entsprechend der UNO-Resolutionen“, so ein Sprecher der Hamas. Der internationale Druck müsste das palästinensische Volk zum Zusammenhalt ermutigen. Die Hamas rief bereits zur Errichtung einer Nationalen Einheitsregierung auf, doch Dschibril Radschub, Nationaler Sicherheitsberater und Fatah-Kandidat in Hebron, lehnte ab: „Unter keinen Bedingungen wird es eine Koalition geben.“

Die beiden Fraktionen sind kaum zu vereinen. Die Fatah strebt die Zweistaatenlösung an – die Hamas die Befreiung von „Großpalästina“, das heutige Israel inbegriffen. Palästinenserpräsident Abbas unterzeichnete den internationalen Friedensplan „Roadmap“, der die Auflösung der Milizen vorsieht, während die Hamas eine Entwaffnung ablehnt. Die wahrscheinliche Lösung des Problems, was mit den oppositionellen Milizen geschehen soll, ist ihre Eingliederung in den nationalen Sicherheitsapparat.

Damit wäre zumindest eine zentrale Kontrolle erreicht. Sollte es erneut Terroranschläge geben, dann müsste die israelische Armee nicht länger gegen diffuse Untergrundgruppen antreten, sondern gegen die bewaffneten Truppen, die die Uniformen der palästinensischen Sicherheitskräfte tragen.

Für Israel ist die Situation, keinen Partner auf palästinensischer Seite zu haben, nicht neu. Ariel Scharon bewies im vergangenen Jahr, dass es auch unilateral geht, wenn man den Traum vom Frieden beiseite legt. Ehud Olmert, amtierender Ministerpräsident in Jerusalem, kündigte diese Woche an, seinem Vorbild Ariel Scharon nachzueifern und einseitige Schritte zu unternehmen, sollte eine Kooperation mit dem Konfliktpartner ausgeschlossen sein. Sein höchstes Ziel ist die Festlegung der israelischen Grenzen. Genau das passiert schon jetzt, und zwar nicht nur mit dem Abzug aus dem Gaza-Streifen, sondern vor allem mit dem Bau der Trennanlagen zwischen Israel und dem Westjordanland. Olmert wird isoliert gelegene jüdische Siedlungen auflösen, will aber an den so genannten Siedlungsblöcken und an einem ungeteilten Jerusalem festhalten.

Das Wahlergebnis bei den Palästinensern wird die Fertigstellung der Trennanlagen beschleunigen, hinter der sich die Israelis verbarrikadieren. Gleichgültig, was Olmert plant: Nach dieser Wahl braucht der israelische Regierungschef internationalen Druck nicht mehr zu fürchten.