„Es wird keine Jobs für Baby-Boomer geben“

Arbeitsmarktexperte Johann Fuchs warnt davor, auch die geburtenstarken Jahrgänge zur Rente mit 67 zu zwingen

taz: Herr Fuchs, wie finden Sie die Idee, die Rente mit 67 vorzuziehen?

Johann Fuchs: Langfristig führt kein Weg an der Rente mit 67 vorbei. Doch kommt es auf das Timing an. Wenn sie vorgezogen wird, werden die Baby-Boomer davon voll betroffen. Diese geburtenstarken Jahrgänge würden derzeit zwischen 2020 und 2030 in Rente gehen. Müssen sie alle länger arbeiten, werden sie die Nachfrage nach Arbeit für Ältere in dieser Zeit zusätzlich verschärfen. Es wird dann noch nicht genügend Jobs für alle Älteren geben. Besser wäre, erst die nachfolgenden Jahrgänge, zum Beispiel ab 1970, länger arbeiten zu lassen.

Da früh stirbt, wer sein Leben lang schlecht bezahlte Jobs hatte, verkürzt sich jetzt auch noch die Rentenbezugsdauer für Arme. Ist das fair?

Wenn sich die gegenwärtig noch etwas unsicheren Zahlen bestätigen, dass es einen so eindeutigen Zusammenhang zwischen Berufen und Lebenserwartung gibt, ist das in der Tat unfair. Dann müsste der Gesetzgeber da für Ausgleich sorgen.

Was bedeutet es für die Produktivität, wenn sich das Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung so stark erhöht?

Die Produktivität älterer Arbeitnehmer ist nicht geringer, sondern anders. Bei körperlichen Tätigkeiten nimmt sie natürlich ab. Aber im Dienstleistungssektor könnte es sein, dass das Erfahrungswissen und die soziale Kompetenz Älterer sogar die Produktivität steigert.

Wer körperlich gearbeitet hat und es nicht bis 67 schafft, steuert also dank Rentenabschlägen in die Altersarmut?

Diese Bedenken habe ich auch. Wir können nur darauf setzen, dass auch die körperlichen Arbeiten leichter werden – so wie zum Beispiel viele Umzugsunternehmen jetzt schon mit Außenaufzügen arbeiten.

Auch im Dienstleistungssektor ist es üblich, dass die Beschäftigten mit der Technik ausgetauscht werden. Zur neuen Software kommen dann die neuen Angestellten, die sie auch beherrschen.

Die Jungen werden künftig schlicht fehlen, dann müssen die Arbeitgeber eben die Älteren nehmen – und diese werden kontinuierlich weitergebildet werden müssen. Die Bedeutung der Fort- und Weiterbildung wird von selbst zunehmen, wenn der „Nachwuchs“ ausbleibt.

Werden die Arbeitgeber dies auch von selbst merken?

Möglicherweise wird man ihnen mit Gesetzen beim Merken helfen müssen. Aber es wird auch überbetriebliche Organisationsformen für Weiterbildung geben. Die Kommunen könnten einsteigen. Und die Erstausbildung muss verbessert werden – denn sie befähigt erst zur Weiterbildung. Gegenwärtig beobachten wir jedoch eine Stagnation in der qualifizierten Erstausbildung – teilweise sogar Rückgänge. Das ist ein Desaster. Da muss einfach etwas passieren. INTERVIEW:
ULRIKE WINKELMANN