Der größte Schrott aller Zeiten

Eine Clique aus friedliebenden Pädagogen hat den „1. norddeutschen Vietnamfilm“ gedreht: Ihr Werk „Deadly Nam“ ist ein Feuerwerk aus Blut und Schwachsinn. Bereits die Dreharbeiten bei Verden waren mit 40 Anzeigen ein Fest der Anarchie

von Jens Fischer

Ein Film, ein Triumph. Lauthals belacht, also heftigst umjubelt wird „Deadly Nam“, die mit Abstand schrottigste „Weltpremiere“, die sich je im Bremer Filmkunstkino Schauburg feiern ließ. Gnadenlos wackeln die von keinem Lichtequipment erleuchteten Bilder kontrastarm und konturmatschig über die Leinwand. Im Dilettieren überbieten sich die Darsteller gegenseitig. Billige Pathos-Sounds, lächerliche Urwald-Geräusche und das minderwertige Camcorder-Mikrofon verlagern die Dialoge ins Rauschhafte.

Ja, der Film ist ein Triumph. Wer jemals in einem bizarren Macho-B-Movie gesehen hat, wie Muskelhelden in Zeitlupe mit Superballermaschinen ganze Kriege in Sekunden allein entscheiden, der ahnt: Nur ein C-, nein, ein D-Movie wie „Deadly Nam“ kann diesen grausamen Kriegsverherrlichungsfilmen parodistisch Paroli bieten – und es mit dem dümmlichen Stolz-, Ehre-, Mut-, Opferbereitschafts-, Kameradschaftsgetue aufnehmen. Indem all das nicht nur durch den Kakao gezogen, sondern darin ertränkt wird.

In diesem Sinne hat Web-Designer Markus Hagen als Regisseur den „1. norddeutschen Vietnamfilm“ gedreht. Mit einer Clique, die sich aus der Bremer Hardcore-Punk-Szene kennt und vornehmlich als Veganer definiert, also nicht einmal einer Mücke in Ausübung ihres Stechberufs etwas antun würde: Die Crew besteht aus 20 stämmigen Jungs, zwischen 25 und 30 Jahre alt, einst Zivildienstleistende, heute Pädagogik studierend oder als Kindergärtner arbeitend.

Nichts liegt ihrer Lebenserfahrung ferner als Krieg. Nichts liegt ihrer politischen Überzeugung ferner als blinder Patriotismus und das Abfeiern Testosteron-betankter GIs im Kampf gegen namenlose Vietkong. Nichts finden sie lustiger als hirnamputierte Filme über die Jugendzeit ihrer Eltern. Und nichts assoziiert man weniger mit niedersächsischem Weideland als die grüne Dschungelhölle Vietnams.

Also zieht das Laienfilmteam ein halbes Jahr lang jedes Wochenende hinaus ins Naturschutzgebiet Danelser Bruch bei Langwedel (an der Bahnstrecke Bremen - Hannover), „um dort einen Krieg anzuzetteln, den die Welt und vor allem der lokale Förster noch nie gesehen hat“, schreibt Hendrik Thiele in einem Punk-Fanzine. Er studiert in Bremen, möchte Grundschullehrer werden, ist Produzent und Hauptdarsteller des über 70-minütigen Feuerwerks aus Blut und Schwachsinn. „Ein verspäteter Jugendstreich“, erklärt Thiele.

Warum man nicht die in Amateurfilmkreisen bevorzugte Horror-/Splatter-/Zombie-Thematik aufgegriffen hat? „Ich steh‘ auf Kriegsfilme. Und die amerikanischen Vietnam-Actionfilme haben die meisten Klischees, sind am asozialsten und machen daher am meisten Spaß.“ Thiele hat die dumm-dreisten Machwerke als 12-Jähriger bei SAT.1 entdeckt und genießt sie heute im Freundeskreis: Film als Party mit Lachtränen-Garantie. Als er auch noch italienische Vietnamfilme auf Video entdeckt, wird ihm klar: „Das können wir auch.“ Harmlose Gutmenschen mutieren in ihrem Spaßwillen zu Killermaschinen? Thiele: „Früher habe ich das in der Muckibude oder auf Konzerten ausgelebt.“

Für die Dreharbeiten wird erst mal literweise Kirschsaft mit Soßenbinder zu „Blut“ angedickt. Softair-Gewehre und US-Army-Zeugs ersteigert man im Internet und ordert für 400 Euro von einem englischen Filmausstatter einen M-60-Holznachbau: Inbegriff des endlos potenten Supermaschinengewehrs. Als Bundeswehrsoldaten ihre Unterstützung beim Dreh anbieten, sagt Thiele deutlich: „Nein!“ Man wolle gar nicht wissen, wie die Waffen richtig zu handhaben seien. Richtig, also mit gierigem Blick in die Kamera gehalten wird aber ein „Playboy“ aus dem Jahr 1968. Dass für die Kostüme auch Bundeswehr-Shops geplündert wurden, erkennt der Zuschauer daran, dass die US-Soldaten schon mal eine Deutschland-Flagge am Parka tragen.

Nachdem mit dem Naturschutzbeauftragten des Landkreises Verden geklärt ist, dass Drehtermine und Brutzeit der Vögel sich nicht überschneiden, kann es losgehen. Man schmiert sich mit Dreck ein, stapft durch Matsch und Bäche, kriecht durchs Gebüsch, wackelt endlos mit den Plastikwaffen, „bis wir Schwielen an den Fingern hatten“ (Thiele), und stirbt im farnigen Unterholz. Am Computer werden alle Szenen grün eingefärbt. Mehr Vietnamisierung ist nicht nötig. Urdeutsche Weidezäune stehen eh im Bild, ein Blumenwiesenstrauß hängt am G.I.-Helm. Und dass derjenige Ami-Darsteller, der eben noch geschossen hat, im Gegenschnitt als Vietkong tot umfällt: egal.

„Da niemand mein Drehbuch gelesen hat“, amüsiert sich Thiele, „mussten einige Szenen 15 Mal gedreht werden.“ Was den einen oder anderen Spaziergänger durchaus irritierte. Ungefähr 40 Anzeigen seien, so Thiele, bei der Polizei in Verden eingegangen. Nicht zu Unrecht fürchte man Wehrsportübungen deutscher Rednecks. Haben doch Neonazis bereits versucht, die Stadthalle Verden zu erwerben, und sich auf einem Anwesen im nahen Dörverden niedergelassen. Einmal aber bekommt das Filmteam tatsächlich Besuch von vier Mannschaftswagen mit je fünf hochgerüsteten Polizisten. Beim Blick in die Mündungen echter Maschinengewehre legen die Darsteller schnell ihre Spielzeugwaffen weg. Erst als Thiele im Einsatzleiter der Polizei seinen ehemaligen Grundschulfreund erkennt, entspannt sich die Situation.

Noch anstrengender als der Dreh erweist sich die Postproduktion. Ein Jahr lang wird an Ballerakustik, Feueroptik, Napalm-Inferno-Illusion mit Special-Effect-Software gearbeitet.

Nach dem Premierenerfolg soll „Deadly Nam“ jetzt ordentlich vermarktet werden. Auf privaten Festivals der Amateurfilmszene, aber auch auf Großereignissen wie dem Hamburger Fantasy-Filmfest will man den Streifen zeigen. Um den Unterhaltungsfaktor noch zu erhören, wird an einer plattdeutschen Synchronfassung gearbeitet. „Für den US-Markt soll eine englische Fassung mit streng deutschem Akzent entstehen“, so Thiele. „Wir setzen auf den Rammstein-Effekt.“ Auf Amateurfilmbörsen und im Internet könne man selbst den schlechtesten Film 600 Mal verkaufen, weiß Thiele. Und 20 Euro für die DVD, das sei drin.

Um aber noch mehr Publikum zu erreichen, führe man gerade Verhandlungen mit Vertriebs-Labeln. Einem kleinen Independent-Unternehmen könne man die deutschen Rechte für zwei, drei Jahre für 2.000 Euro verkaufen, berichtet Thiele. Große Labels würden bis zu 15.000 Euro für weltweit geltende Fünf-Jahres-Lizenzen zahlen. Der Vorteil: Die Vertriebsprofis machen Werbung für den Film, bringen ihn in Mailorder-Shops, auf Börsen, Messen, Festivals. Und mit einem Label im Hintergrund tauche „Deadly Nam“ auch neben den Vietnamfilm-Stars „Apocalypse now“ und “Platoon“ unter www.imdb.com auf, der größten Filmdatensammlung der Welt, freut sich Thiele.

Die Fanartikel sind bereits gefertigt: T-Shirts, Baseball-Caps und natürlich ein „Deadly Nam“-Grillhandschuh – falls mal frisch verkohlte Leichen von Spazierwegen niedersächsischer Wälder geräumt werden wollen. Die Filmfiguren jedenfalls müssen alle heldenhaft krepieren: „Ich wollte so eine Fortsetzung ausschließen“, erklärt Thiele. „Mit Trash-Faktor und Augenzwinkern arbeite ich jetzt an einer Version der ,Straßen von San Francisco.‘“