Enthusiasmus unbedingt erforderlich

Die ungewöhnlichste Leistungsschau des musikalisch Absonderlichen verschlägt selbst ihren Machern die Sprache: der Club Transmediale

Frech möchte man dieses Jahr sein, auch „unerschrocken, wagemutig, unverschämt und drastisch“. So zumindest übersetzen die Macher des Club Transmediale-Festivals selbst ihr diesjähriges Motto „Being Bold!“. Nicht dass man das nicht auch schon in den letzten Jahren gewesen wäre, im Gegenteil: Die ursprünglich als Begleitprogramm zum Medienkunstfestival Transmediale gedachte Veranstaltungsreihe hat sich in den sechs Jahren ihres Bestehens zur wohl aufregendsten und ungewöhnlichsten Leistungsschau musikalischer Absonderlichkeiten in Berlin gemausert.

Diesem Status wird man folgerichtig nun auch im Namen gerecht: Der Zuständigkeitsbereich wurde nominell erweitert, indem man das Korsett der „electronic music“ abgelegt hat – man versteht sich fortan als „Festival for Adventurous Music“. Das ist konsequent vor dem Hintergrund, dass die spannendsten musikalischen Entwicklungen längst nicht mehr in erster Linie oder ausschließlich in der Elektronik zu finden sind, und wird letztlich auch einfach der eigenen Festivalrealität gerecht: Schon im letzten Jahr kamen die größten Knüller beim Club Transmediale nicht von der Festplatte – erinnert sei nur an den unvergesslichen Auftritt der norwegischen Jazzmetal-Band Kill.

Dass der CTM in diesem Jahr tatsächlich erneut „wagemutig, unverschämt und drastisch“ zu werden verspricht und ein exzellentes Programm ankündigen kann, das kommt trotzdem einem kleinen Wunder gleich. Denn wer annimmt, dass einem auch von der Presse im letzten Jahr euphorisch bejubelten Festival wie dem Club Transmediale die Gelder hinterhergeschmissen würden, der irrt gewaltig.

Jan Rohlf, einer der Verantwortlichen für das Programm, erklärt, dass bis zum September letzten Jahres nicht einmal klar war, ob man überhaupt wieder durchstarten könne, gab es doch bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Planungssicherheit. Erst als der Hauptstadtkulturfonds dann doch noch etwas Kleingeld übrig hatte, war klar, dass man wie gehabt neun Tage hintereinander die Maria am Ostbahnhof bespielen könne. Absurderweise scheint gerade der Anspruch des CTM – Grenzen zu ignorieren, undogmatisch zu sein und „einen Ort zu schaffen, der undefiniert ist, von dem keiner weiß, ob er sich dort aufgehoben fühlt“, wie Rohlf das nennt – zum Hemmschuh in Finanzierungsfragen geworden zu sein. Das Schubladendenken derjenigen, die die Gelder für Kultur zu verteilen haben, wird stark irritiert, wenn sich niemand ganz explizit zu Hoch- oder Pop- oder Club-Kultur bekennt, sondern irgendwie alles zusammen für sich in Anspruch nehmen kann.

Die Macher des CTM tun sich ja sogar selbst schwer, das in Worte zu fassen, was da in diesem Jahr neben dem Zeigen ungewöhnlicher Musikdokumentationen in der Reihe „Handclaps“ alles geboten wird. Von „Dada- Rave“ ist da die Rede, von „Cartoon Music“, „Drone Metal“, „Cut-up Agitation“ und „elektronischem Weird Folk“. Aus all diesen Sparten habe man Künstler eingeladen, „die aus einer besonderen persönlichen, teils obsessiven, exzentrischen oder idiosynkratischen, immer aber ungewöhnlich enthusiastischen Haltung heraus produzieren“. Mit anderen Worten und damit es jeder versteht: Es soll wirklich endkrass zugehen in diesem Jahr.

Zu diesem Anspruch passt dann auch niemand besser als die göttlichen Ilsa Gold aus Wien, die sich nach zehn Jahren für das morgige Eröffnungskonzert wiedervereinigt haben. Ilsa Gold machten Anfang der Neunziger Dada-Gabba, brachten Happy Hardcore mit auf den Weg, schufen Drogenhymnen wie „Silke süchtig“ mit der hochgepitchten Stimme von Peter Cornelius und beglückten Raver mit Dichtkunst à la „Die Sonne scheint mir auf den Penis, was sehr schön ist.“ Ein weiteres überraschendes Comeback kündigt sich dann mit dem Auftritt des Franzosen Jean-Jacques Perrey an, der inzwischen 76 Jahre alt ist und dessen Moog-Platten aus den Sechzigern nicht nur von Air kultisch verehrt werden. Perrey ist gerade dabei, eine neue Platte aufzunehmen und möchte, so hat er der De:Bug verraten, den Spaß zurück in die elektronische Musik bringen. Man kann sich sicher sein, dass er sich bezüglich dieses Anspruchs mit Ilsa Gold bestens verstehen wird.

ANDREAS HARTMANN