Kongos Krieg kommt nicht vor Gericht

Internationaler Gerichtshof in Den Haag weist Klage der Demokratischen Republik Kongo gegen Ruanda wegen „bewaffneter Aggression“ ab und erklärt sich in allen Punkten für unzuständig. In einer ähnlichen Klage war Uganda verurteilt worden

VON DOMINIC JOHNSON

Die Demokratische Republik Kongo ist mit dem Versuch gescheitert, Ruanda wegen des Kongokrieges von 1998 bis 2003 vor Gericht zu stellen. Der für zwischenstaatliche Streitfälle zuständige Internationale Gerichtshof in Den Haag wies gestern die Klage des Kongo gegen Ruanda wegen „bewaffneter Aggression“ in allen Punkten zurück. Mit 15 gegen zwei Stimmen urteilte das Gericht, „dass keine der Grundlagen der Rechtsprechung, auf die sich die D. R. Kongo berief, aufrechterhalten werden kann“. Somit habe der Gerichtshof „keine Zuständigkeit“.

Die Demokratische Republik Kongo hatte im Juni 2002 in Den Haag Klage gegen Ruanda eingereicht, dessen Truppen 1998 bis 2002 in Unterstützung kongolesischer Rebellen den Ostkongo besetzt hielten. Die Folgen des Krieges im Ostkongo sollen vier Millionen Menschenleben gefordert haben, und Menschenrechtler haben allen Kriegsparteien Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachgewiesen. Kongo warf Ruanda „massive und flagrante Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die auf Akte der bewaffneten Aggression zurückgehen“, vor. Dazu gehörten Massaker, sexuelle Gewalt, Morde, Verhaftungen und Plünderungen. In einer ähnlichen Klage gegen Uganda hatte der Gerichtshof im Dezember 2005 dem Kongo Recht gegeben und Uganda verurteilt.

Ruanda hat zur Begründung seiner Militärpräsenz im Kongo immer auf das Recht auf Selbstverteidigung verwiesen, da die Nachfolgeorganisationen der für den Völkermord an Ruandas Tutsi verantwortlichen Armee und Hutu-Milizen bis heute im Kongo aktiv sind. In Den Haag spielte diese Argumentation allerdings keine Rolle, da Ruanda von Anfang an die Zuständigkeit des Gerichts bestritt. Normalerweise kann der Gerichtshof nur im Konsens beider Parteien tätig werden. Falls eine Seite ihn nicht anerkennt, muss der Kläger beweisen, dass die beklagte Partei völkerrechtlich bindende Verpflichtungen eingegangen ist, in denen die Anerkennung der Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs für den Klagepunkt enthalten ist.

Dies, so die Richter gestern, habe Kongo in keinem Punkt erreicht. Die UN-Folterkonvention, die UN-Völkermordkonvention, die UN-Konvention gegen Rassendiskriminierung, die UN-Konvention gegen Frauendiskriminierung, die Satzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO und des UN-Bildungswerks Unesco, die Montrealer Luftfahrtkonvention oder die Wiener Konvention zur Gültigkeit von Verträgen – keine von diesen biete eine Basis für die Klage gegen Ruanda.

Pikant ist der Grund, warum die Konventionen gegen Völkermord und Rassendiskriminierung nicht anwendbar sind: Ruanda klammerte bei seinen Beitritten zu diesen Konventionen 1975 die Artikel aus, die die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs im Falle von Verletzungen regeln. Im Nachhinein ist das nachvollziehbar – die damalige Regierung gründete sich auf organisierter Diskriminierung gegen Tutsi und plante 1994 den Völkermord im eigenen Land. Ruandas heutige Regierung hingegen sieht sich als Vorkämpferin gegen Genozid und ethnische Diskriminierung. Ausgerechnet die Völkermordideologie ihrer Vorgänger rettet sie nun vor einer Kongo-Klage.

Kongo hatte vergeblich argumentiert, dass die Völkermordkonvention „zwingendes Recht“ (Jus cogens) enthält, das alle Staaten bindet. Dies bestätigt Den Haag. „Aber die reine Tatsache, dass diese Verpflichtungen in einem Rechtsstreit Streitpunkt sein könnten, gibt dem Gericht keine Zuständigkeit, diesen Rechtsstreit zu behandeln.“

Im Endeffekt hatte Ruanda die besseren Juristen. In den ruandischen Stellungnahmen wird eng an den Texten entlangargumentiert, während die des Kongo eher politisch und unpräzise ausfallen. Eine Rolle mag auch gespielt haben, dass Kongo bereits 1999 Ruanda in Den Haag verklagt hatte und diese Klage 2001 ohne Begründung zurückzog. Die jetzt behandelte Klage ist mit der ersten weitgehend identisch. Bei der zweiten Klageerhebung 2002 war sich das Gericht daher nicht sicher, ob es sie annehmen sollte. Es befand schließlich, es sei zunächst einmal zuständig für die Prüfung seiner Zuständigkeit.

Die Richter betonten gestern, ihr Urteil bedeute kein Urteil über Kongos Vorwürfe gegen Ruanda an sich: „Staaten müssen ihre Verpflichtungen unter der UN-Charta und anderen Regeln des Völkerrechts erfüllen, ob sie die Zuständigkeit des Gerichts anerkennen oder nicht.“

Dem Kongo, erklärte gestern ein Sprecher des Den Haager Gerichts der taz, bleibt jetzt nur noch die Möglichkeit, eine neue Klage auf anderer Basis einzureichen. Ruanda würde darauf allerdings mit einer eigenen Klage gegen Kongo antworten.