Hoffen auf die stille Masse

Die WASG-Spitze ist sicher: Die meisten Mitglieder wollen die Fusion. Ein Basisvotum könnte ihnen mehr Gehör verschaffen

Klaus Ernst: „Wenn die Partei sich für eine Fusion entscheidet, müssen die Kritiker überlegen, ob sie noch mitmachen“

VON ASTRID GEISLER
UND KLAUS JANSEN

Der Einzige, der die ganze Aufregung nicht versteht, ist das Mitglied Oskar Lafontaine. Draußen im Land streiten WASG-Basis und -Funktionäre immer schriller über die Fusion mit der Linkspartei. Für ihn ist die Sache klar: „Das Volk sieht uns längst als eine Partei“, verkündete Lafontaine zuletzt den Mitgliedern der Schwesterpartei PDS in Dortmund. Vier Millionen Menschen hätten im September bei der Bundestagswahl das gemeinsame Programm der Linken bestätigt – eine andere Legitimation für die Fusion brauche es nicht.

Da ist der Bundesvorstand der WASG inzwischen anderer Ansicht. Für Sonntag hat er alle Landeschefs der Wahlalternative nach Berlin zitiert – eine Premiere in der Parteigeschichte.

Auf der Tagesordnung steht eine brisante Frage: Wie lässt sich das Tohuwabohu um die Parteifusion stoppen, das seit Wochen vor allem die Landesverbände Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern veranstalten? Der Plan, so WASG-Bundesvorstand Klaus Ernst zur taz: Noch vor dem Parteitag im April soll die Basis in einer bundesweiten Urabstimmung über die Fusion und die strittige Frage der Doppelmitgliedschaften befinden.

Er hofft, dass ein eindeutiges Basisvotum die Minderheit der Kritiker aus den Ländern (siehe Übersicht) endgültig ins Abseits stellt. „Wenn die Partei entschieden hat, was sie will“, sagt Ernst, „dann müssen sich die anderen sich überlegen, ob sie da noch mitmachen wollen.“

Die geplante Aktion kommt nicht von ungefähr. Die WASG-Führung ist durch die Dauerquerelen der letzten Wochen unter Druck geraten. Die Partner von der Linkspartei reagieren mit verzweifelten Appellen: „Ich hoffe, dass die WASG endlich Klarheit schafft“, sagte Bodo Ramelow, Fusionsbeauftragter der Linkspartei, der taz. Einige Akteure der WASG in Berlin hätten einen klar „separatistischen“ Antifusionskurs eingeschlagen: „Das kann man nicht mehr akzeptieren.“

Die vorgezogene Urabstimmung hält Ramelow für einen richtigen Schritt. Denn dann gibt es endlich einen Beschluss, den kein WASG-Mitglied so einfach ignorieren kann, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen.

Auch in den von Flügelkämpfen gezeichneten Landesverbänden der WASG verlieren einige Fusionsbefürworter mittlerweile die Geduld. So mahnt Dolores Rente, von Fusionsgegnern gestürzte Landeschefin aus Sachsen-Anhalt und Mitglied in der gemeinsamen Steuerungsgruppe für die geplante Fusion: „Mit der Vogel-Strauß-Technik arbeiten, das funktioniert nicht. Man muss jetzt offensiv mit dem Problem umgehen.“ Selbst wenn die Zahl der Fusionsgegner eine verschwindende Minderheit sei: „Die trompeten so laut durch die Gegend, dass die sinnvolle Arbeit der anderen gar nicht mehr zur Geltung kommt. Unser Verband hat inzwischen Schaden genommen.“ In solch einer Lage genüge es nicht, dass der Vorstand die Basisverbände regelmäßig mit E-Mail-Newslettern beglücke: „Die liest doch eh fast niemand.“

Das ahnt die WASG-Führung womöglich auch. Nur kann sie sich ihre Landesverbände nicht einfach aussuchen. Und: Je schärfer die Spitze gegen Aufmüpfige vorgeht, desto mehr dürften die sich angestachelt fühlen.

Kein Wunder, dass die Parteispitze sich weiter um eine Deeskalation bemüht. Für „disziplinarische Maßnahmen“ sei die Zeit noch nicht gekommen, versichert WASG-Vorstand Ernst. „Es gibt keine Krise, und in Berlin wird das auch kein Krisentreffen“, beteuert auch Katharina Schwabedissen, Landeschefin aus dem fusionswilligen NRW.

Spätestens nach der Urabstimmung dürfte es mit der Geduld der Pragmatiker innerhalb der WASG aber vorbei sein. Vor allem Oskar Lafontaine hat offensichtlich wenig Lust, sich länger mit Querulanten herumzuschlagen. Ende März wird in drei Bundesländern gewählt, da will der Chefdenker lieber mit Visionen als mit Familienfehden ins Rennen gehen. Inhaltliche Leitlinien für eine neue linke Partei hat er längst parat – und unlängst bei einer Tagung in Berlin vorgestellt. Er setzt auf Regulierung statt Deregulierung, auf den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, auf den Ausbau des öffentlichen Sektor, auf ein Nein zu Privatisierungen in Ländern – vor allem dort, wo die Linke mitregiert, auf die strikte Einhaltung des Völkerrechts.

Für alle, die sich lieber weiter mit Flügelkämpfen aufhalten, hat Lafontaine einen heißen Tipp: „Wer will, kann ja eine neue Partei aufmachen.“