Hummeln auf dem Mars

Jean-Jacques Perrey machte in den 60ern mit Synthesizern und Bandschleifen elektronischen Easy Listening – zum Entsetzen der E-Komponisten. Der 76-Jährige ist jetzt bei der Transmediale zu Gast

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Wenn Jean-Jacques Perrey heute zu Konferenzen und Festivals eingeladen wird, um über seine Musik zu sprechen, zeigt er den Zuhörern gern ein kleines Stück Tonband – ein zu einer Schleife zusammengeklebtes Fitzelchen. Das hält Perrey dann hoch und erklärt: „Damit haben wir früher Musik gemacht.“ In einem Zeitalter, in dem Popmusik – ob sie sich nun „elektronisch“ nennt oder nicht – fast ausschließlich im Studio mit der Hilfe von Computern und anderem digitalen Hightech produziert wird, erinnert dieser Bandfitzel rührend daran, mit welch simplen Mitteln vor einem halben Jahrhundert einmal experimentelle Musik gemacht wurde.

Der 76-jährige Jean-Jacques Perrey, der morgen bei der Transmediale über seine Arbeit sprechen und sie übermorgen gleich noch live beim Club Transmediale zu Gehör bringen wird, gehört nicht zu denjenigen, die genannt werden, wenn man heute an die elektronische Experimentalmusik der Nachkriegszeit denkt. Der Franzose hat keine akademischen, ernsten Werke komponiert, sondern vergnügte Hintergrundmusik, die heute unter dem Label „Easy Listening“ geführt wird. Es sind einfache Stücke mit fröhlichen Melodien und einem kindlichen Humor, die er in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre auf einer Reihe erfolgreicher Schallplatten veröffentlichte. Perrey stammt aus derselben Baureihe wie andere Elektro-Pop-Bastler der Nachkriegszeit – etwa Raymond Scott, Eric Siday oder Louis und Bebe Barron, die mit elektronischen Mitteln Soundeffekte und Musik für Science-Fiction-Filme, Werbespots und Jahrmarktsattraktionen machten.

Aber die Methoden, mit denen Perrey seine Musik produzierte, waren dieselben, mit denen die avanciertesten E-Komponisten seiner Zeit arbeiteten. Er verwendete nicht nur die ersten elektronischen Instrumente wie die französischen Ondioline und den Moog-Synthesizer, sondern eben auch die Tonband-Montage und Bandschleifen, die zu dieser Zeit unter europäischen und amerikanischen E-Komponisten große Mode waren.

Diese Techniken lernte er kennen, nachdem er sein Medizinstudium geschmissen hatte, um Musiker zu werden. Ende der 50er-Jahre war er ein Schüler des Komponisten Pierre Schaeffer – dem war er von Edith Piaf vorgestellt worden, für die er zeitweise Ondioline spielte. Schaeffer ist der Vater der Musique Concrète, einer Musik, die ausschließlich aus Geräuschen zusammengesetzt ist. Durch Schaeffers Studio zog in den 50er- und 60er-Jahren die gesamte elektronische Avantgarde Europas und profitierte von dessen Infrastruktur: Karlheinz Stockhausen, Pierre Henry, György Ligeti, Luciano Berio, Iannis Xenakis, Edgar Varèse oder Pierre Boulez. Und eben Jean-Jacques Perrey, der Schaeffers Privatschüler war, wenn auch kein gehorsamer. In einem Interview erinnert er sich: „Ich dachte mir: warum mache ich mit diesen Methoden nicht Unterhaltungsmusik und humoristische Musik, für die ich alle möglichen Geräusche benutzen kann.“ Schaeffer war entsetzt.

Nachdem Perrey in die USA übergesiedelt war, entstanden in wochenlanger Fummelarbeit Stücke wie etwa eine Version von Rimsky-Korsakows „Hummelflug“, die nur aus echtem Insektensummen zusammengesetzt war. Andere von Perreys Stücken aus dieser Zeit handeln von Weltraumreisen und Marsmenschen. Der Humor, mit dem er sich über sein elektronisches Instrumentarium hermacht, erinnert unweigerlich an seinen Landsmann Jacques Tati, der der technisierten Lebenswelt ebenfalls stets eine komisch-absurde Seite abgewinnen konnte.

Zusammen mit dem amerikanischen Komponisten Gershon Kingsley nahm Perrey zwei Platten mit dem Moog-Synthesizer auf, die das neue Instrument erstmalig bekannt machten – und zwar bevor Popgruppen wie Emerson, Lake and Palmer oder Tangerine Dream den Synthesizer in die Rockmusik einführten. Walt Disney benutzte das Perrey-Kingsley-Stück „Baroque Hoedown“ als Soundtrack für die Electrical Parade auf der Main Street von Disneyland. In unterschiedlichen Versionen dudelt das Stück dort heute noch, und es wird geschätzt, dass es mittlerweile mehr als 100 Millionen Menschen gehört haben – wohl die erfolgreichste elektronische Komposition aller Zeiten.

1970 kehrte Perrey nach Frankreich zurück, wo er weiterhin Soundtracks für Kino, Fernsehen und Radio komponierte. In den 90er-Jahren wurde die zeitgenössische Elektronikmusik aufmerksam auf die Arbeit des französischen Exzentrikers, als in dem Band „Incredible Strange Music“ ein ausführliches Interview mit Perrey erschien. Seine Platten wurden wiederveröffentlicht, und die Liste der Referenzen, die ihm Popmusiker der Gegenwart seither erwiesen haben, ist lang: Das französische House-Duo Air arbeitete mit ihm zusammen. Stereolab und Timbaland, die Beastie Boys und -Ziq sampelten seine Gag-Sounds, und Fat Boy Slim remixte Perreys erfolgreichsten Titel „E.V.A.“ für die Gegenwart. Und seit 1998 veröffentlicht Perrey auch wieder eigene Musik.

Neben den merkwürdigen Geräuschen, die er mit der Technik seiner Zeit produzierte, reizt heute vor allem die Begeisterung für Technik und Zukunft, die der Nasa-Fan in seiner Musik zum Ausdruck brachte und die in so naiver Form in den 60er-Jahren wohl zum letzten Mal möglich war. Heute gibt sie seinem Space-Pop einen besonders nostalgischen Charme. Jean-Jacques Perreys elektronischer Easy Listening ist die musikalische Zukunft der Vergangenheit.

Sonntag, 5. 2., 19 Uhr: Jean Jaques Perrey spricht im Rahmen der Transmediale anhand von Musikbeispielen und Bildern über seine Karriere (Akademie der Künste, Hanseatenweg)Montag, 6. 2., 22 Uhr: Jean-Jaques Perrey stellt zusammen mit Dana Countryman beim Club Transmediale sein neuestes Album vor (Maria am Ostbahnhof, An der Schillingbrücke)