Die fetten Jahre gehen weiter

Berlin ist die deutsche Boomtown des Films, nicht nur zur Berlinale. Die Branche lobt das kreative Potenzial der Region

Im Central-Kino an den Hackeschen Höfen steht das Selbstvertrauen des Berliner Films an der Kasse. Genauer gesagt: auf dem T-Shirt des Kartenverkäufers. „Cannes, muss aber nicht“ ist dort zu lesen. Das könnte der Slogan der Filmstadt Berlin sein. Zwar beherrschen ab morgen wieder Stars wie George Clooney die Szene, und sie bringen einen Hauch von Cannes auf den roten Teppich der Berlinale. Dabei könnte das Filmfest aber auch die Möglichkeit bieten, eine der wenigen Boom-Branchen der Stadt zu entdecken: den Film.

Berlin blickt zurück auf eine lange Filmtradition. 1895 präsentierte Max Skladanowsky im Varieté Wintergarten sein „Bioskop“; einen Vorläufer des Kino-Projektionsapparats. 1912 wurde das Studio Potsdam-Babelsberg eingeweiht, fünf Jahre später das erste große deutsche Filmunternehmen gegründet: die UFA. Der Berliner Regisseur Fritz Lang drehte 1924 sein Science-Fiction-Meisterwerk „Metropolis“ in einer Produktionshalle in Babelsberg. Sie heißt heute Marlene-Dietrich-Halle und ist mit 4.000 Quadratmeter Fläche eine der größten Europas.

Berlin-Brandenburg ist eine wachsende Film- und Fernsehregion. Jedes Jahr entstehen hier rund 300 Filme, ein Viertel aller Kino- und TV-Produktionen kommen aus der Hauptstadtregion. Die Macher loben die guten Arbeitsbedingungen. „Berlin-Brandenburg ist für mich als Produzent ein Wunderland“, sagt Stefan Arndt, Geschäftsführer der Berliner Produktionsfirma X-Filme. „Zwar fällt hier das Geld nicht vom Himmel. Aber es ist die Region mit der höchsten Dichte an spannenden Menschen – und daraus machen wir unsere Filme.“ X-Filme produzierte mit „Lola rennt“ (1998), „Good Bye, Lenin!“ (2002) und „Sommer vorm Balkon“ (2006) Filme, die nicht nur in Berlin produziert wurden, sondern auch hier spielen.

Auch für internationale Großproduktionen ist die Region als Drehort attraktiv. In Babelsberg wurde im vergangenen Jahr „V for Vendetta“ mit Nathalie Portmann gedreht, der auf der Berlinale uraufgeführt wird. Mit „Der Pianist“ von Roman Polanski, „Enemy at the Gates“ von Jean-Jacques Annaud und Robert Schwentkes „Flightplan“ entstanden hier in den vergangenen Jahren wichtige Großproduktionen. Auch preisgekrönte Dokumentarfilme wie „Rhythm is it!“ und Animationsstreifen wie „Der kleine Eisbär“ kommen aus Studios der Region.

Nicht zuletzt sind Berlin und Potsdam auch Fernsehstädte. Die Grundy UFA produzierte 2004 mit „Bianca – Wege zum Glück“ die erste deutsche Telenovela in Babelsberg. Es folgten die populären Serien „Verliebt in Berlin“, die im Studio Adlershof gedreht wurde, „Julia“ und „Braut wider Willen“.

Die Film- und Fernsehbranche beschäftigt mehr als 13.000 Menschen in der Region und macht einen jährlichen Umsatz von 800 Millionen Euro. Zahlreiche Synchronisationsstudios sowie mehrere hundert Film- und Fernsehproduktionsfirmen sind in und um Berlin ansässig.

Doch die Chancen, einen Arbeitsplatz beim Film zu ergattern, sind in Berlin auch nicht größer als im Rest der Republik. „Eher schlechter“, meint Dieter Wiedemann, Präsident der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam. „In Leipzig oder Köln hat man bessere Chancen, in Erwerbstätigkeit zu kommen.“ Der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) sei im Vergleich zu anderen Sendern klein, und neben den vielen kleinen Produktionsfirmen fehle eine große wie die Bavaria in München. „Berlin ist ein gutes Pflaster für Film und Fernsehen, weil es ein einzigartiger Schmelztiegel von Kulturen und jungen Leuten ist“, sagt Wiedemann. „Als junger Filmstudent kann man hier viel erleben. Aber Geld verdienen muss man dann meist woanders.“

Aufwärtstrend

Kathrin Steinbrenner vom Medienboard Berlin-Brandenburg sieht indessen einen Aufwärtstrend in der Filmbranche. „In Berlin sind die Strukturen nicht so rigide wie in anderen Städten: Filmemacher können sich hier ausprobieren.“ Die gute Stimmung drücke sich auch in der Statistik aus: Nach einer aktuellen Umfrage des Medienboards unter 560 Medien-Unternehmern erwartet über die Hälfte im Jahr 2006 mehr Umsatz. Im Vorjahr gaben das nur 42 Prozent an. Besonders optimistisch ist die Filmbranche: Zwei Drittel der Filmunternehmen in Berlin und Brandenburg sind mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr zufrieden, 92 Prozent bezeichnen den Standort als „optimal“.

Mit Hans Weingärtners „Die fetten Jahre sind vorbei“ hat es im vergangenen Jahr ein teilweise in Berlin gedrehter Film nach Cannes geschafft. Auch alle vier deutschen Filme, die im Wettbewerb der aktuellen Berlinale laufen, entstanden in der Hauptstadtregion. Für den Film- und Fernsehstandort, so scheint es, fangen die fetten Jahre gerade erst an. Michael Aust