Letzter Kampf der Anwohner

Rund 120 Kläger vertreten 4.000 klagewillige Anwohner beim Flughafenprozess vorm Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Ihre Motive, mit denen sie das derzeit größte deutsche Infrastrukturprojekt angreifen, sind vielfältig

Die Gegner des neuen Hauptstadtflughafens in Schönefeld sind ordentliche Leute. Wenn die sechs Richter in ihren roten Roben den großen Verhandlungssaal des Bundesverwaltungsgerichts im sächsischen Leipzig betreten, erheben sich die Gegner des Zwei-Milliarden-Projektes ehrfurchtsvoll von ihren Plätzen. Immerhin haben sie jahrelang dafür gekämpft, dass der Flughafen nicht gebaut wird. Bislang vergebens, nun ist das Leipziger Gericht ihre letzte Chance. Das entscheidet in letzter Instanz über den Flughafen, der 2011 in Betrieb gehen und die innerstädtischen Airports Tegel und Tempelhof ersetzen soll.

Die rund 120 Kläger, die etwa 4.000 klagewillige Anwohner vertreten, haben dabei ganz unterschiedliche Motive, das derzeit größte Infrastrukturprojekt in Deutschland anzugreifen: Die meisten beklagen den zunehmenden Fluglärm, der mit dem Anstieg des Verkehrsaufkommens in Schönefeld auf sie zukommt. Oder sie glauben, dass der Wert ihrer Immobilien deutlich sinkt. Anderen droht die Enteignung, weil die Flughafenplaner ihre Grundstücke für den Flughafenausbau brauchen. Wieder andere fürchten, dass abgesenktes Grundwasser ihre Gärten austrocknet und so die Standfestigkeit ihrer Häuser gefährdet. Manche haben Angst davor, dass steigendes Grundwasser ihre Grundstücke unter Wasser setzt und für feuchte Mauern sorgen könnte. Und viele befürchten die Verbreitung von Giften und Schadstoffen im Boden; sie könnten durch umfangreiche Wasserbaumaßnahmen im Zuge des Flughafenbaus ausgelöst werden. All diese Fragen muss das Gericht nun klären – und natürlich die entscheidende, ob der Flughafen überhaupt gebaut werden darf.

Die betroffenen Anwohner investieren viel, um am Prozess teilnehmen zu können. Um die 1.000 Euro habe er schon ausgegeben, sagt einer in Leipzig; andere nehmen extra ihren Jahresurlaub, um regelmäßig an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die findet an drei Tagen in dieser und in der nächsten Woche statt. Und für die übernächste Woche sind vorsorglich schon mal weitere Termine gebucht.

Familie Treffkorn aus Dahlewitz ist extra mit dem Auto nach Leipzig gekommen. Werde der Flughafen gebaut, würden alle ein bis zwei Minuten Flugzeuge in 300 Meter Höhe über ihr Haus donnern, sagt Claus Treffkorn. „Da möchte man dann nicht mehr wohnen.“ Die Familie lebe hier aber schon seit Generationen, sagt seine Frau Anke. „Wir wollen hier nicht wegziehen, das ist unsere Heimat.“ Selbst wenn der Flughafen ausgebaut würde, müsste es in jedem Fall ein Nachtflugverbot geben. „Schon jetzt ist der Flughafen Schönefeld eine große Belastung.“

Das sieht auch ein Kläger aus Berlin-Schmöckwitz so. 1992 hat er sich am südöstlichen Stadtrand, mitten im Naherholungsgebiet am Langen See, ein Haus gekauft. „Wir wollten dort etwas Ruhe finden, nachdem wir jahrelang in Mitte an der S-Bahn-Trasse gewohnt hatten.“ Schon heute sei die Situation schlimm, weil immer mehr Billigflieger in Schönefeld starten und landen würden. Und die flögen in rund 300 Meter Höhe über seinem Haus hinweg. „Ich hoffe, dass der Großflughafen nicht gebaut wird“, so der Schmöckwitzer. Wenn doch, müsse er so strenge Auflagen kriegen, dass die Situation nicht schlimmer werde als bisher.

Ohnehin findet er den Flughafen ökonomisch unsinnig. „Da bauen wir uns einen Riegel vor die Stadt, und hinterher wundern wir uns, dass sich Berlin nicht gen Südosten ausdehnen kann.“ Bei einem Standort weit außerhalb der Stadt hätte es dieses Problem nicht gegeben. Vor allem wären weniger Menschen vom Lärm betroffen.

Hans Schallehn wohnt noch dichter am künftigen Großflughafen, sein Haus befindet sich rund 400 Meter von der geplanten südlichen Landebahn entfernt. „Die Flugzeuge würden in 150 Meter Höhe über mich fliegen“, sagt er. Wenn sie voll beladen gen Osten starten müssten, könnte es sogar noch weniger sein. „Mein Haus ist dann nicht mehr verkäuflich.“

Aber Schallehn denkt nicht nur an sich. Vor allem kritisiert er einen Umstand, der gar nicht Gegenstand des Verfahrens sei. Östlich der Landebahnen befinde sich ein riesiges Einkaufszentrum. „Wenn da ein Flugzeug hineinstürzt, haben wir den Super-GAU.“ Vor Gericht sei dieses Problem nur deshalb nicht, weil der zuständige Bürgermeister der Gemeinde Schönefeld, zu der das Einkaufszentrum gehört, nicht dagegen klage.

Die Gemeinde Schönefeld unterstützt – im Unterschied zu anderen umliegenden Gemeinden – den künftigen Flughafen vehement. Sie verspricht sich Wachstum und Wohlstand von dem Projekt. RICHARD ROTHER