Deutsche Gerüste auf belgischen Baustellen

Auch deutsche Firmen werden von der Dienstleistungsrichtlinie profitieren. Neue Möglichkeiten für hochqualifizierte Beschäftigte in Industriemontage und Software-Entwicklung, mehr Stress und Druck für einfache Arbeiter in Handwerk und Gastronomie

BERLIN taz ■ Als die deutschen Monteure auf die britische Baustelle kamen, konnten sie noch lange nicht anfangen zu arbeiten. Die einheimische Bauaufsicht verlangte den Nachweis, dass das Personal vom Kontinent auch eine spezielle Sicherheitsschulung absolviert habe. Nein, zwei Tage Grundkurs über englische Helmpflicht und britische Verbandskästen habe man nicht vorzuweisen, räumte die deutsche Crew ein.

So musste der Aufbau der Produktionsanlage für Arzneimittel erst einmal warten. Nach einigem Hin und Her konnte die deutsche Firma zwar schließlich doch Hand anlegen, aber die vorausgegangenen Scherereien sind typisch für das, was Dienstleistungsfirmen in Europa häufiger passiert. Wollen sie im Ausland arbeiten, treffen sie auf alle möglichen absurden Hindernisse der örtlichen Verwaltung. Einige dieser Missstände wird es nicht mehr geben, sollte die Mehrheit der EU-Parlamentarier nächste Woche die Dienstleistungsrichtlinie beschließen.

Deutsche Handwerker werden dann keine offizielle Niederlassung in Frankreich mehr gründen müssen, wenn sie im Nachbarland Rohre verlegen wollen. Und im Gegensatz zu heute dürften Gebäudereiniger aus Nordrhein-Westfalen ihre Gerüste mit nach Belgien nehmen – sie müssten keine benutzen, die vor Ort zertifiziert wurden. All das spare den Unternehmen Verwaltung und Kosten, heißt es sowohl bei der sozialdemokratischen Fraktion als auch der Volkspartei im Europaparlament. Beide haben sich auf einen Kompromiss zur Liberalisierung der Dienstleistungen geeinigt. Auch in ihrer jetzigen, entschärften Variante ist die Richtlinie ein Befreiungsprogramm für Firmen, die im Ausland arbeiten wollen. Nicht nur für deutsche, auch für polnische, die nach Großbritannien ziehen, oder portugiesische, die in Dänemark unterwegs sind.

Die deutschen Wirtschaftsverbände sind mit dem Text trotzdem unzufrieden. „Ich kann keinerlei Mehrwert erkennen“, sagt etwa Holger Kunze, Statthalter des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer in Brüssel. „Der Marktzugang für unsere Mitgliedsfirmen im Ausland verbessert sich nicht, dementsprechend gibt es auch keine zusätzlichen Jobs“, so Kunze weiter. Dass das stimmt, darf bezweifelt werden. Die Wirtschaftslobby muss sich miesepetrig geben, um bis nächste Woche den Druck für die ursprüngliche, radikalere Variante der Richtlinie aufrechtzuerhalten.

Zwar fehlen bislang natürlich belastbare Untersuchungen darüber, wie viele Arbeitsplätze dank der Richtlinie entstehen oder verloren gehen, doch einige Tendenzen meinen Ökonomen sicher erkennen zu können. „Handwerksleistungen, der Service in Gaststätten und viele andere Güter und Dienstleistungen werden billiger“, schreibt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie aus dem Jahr 2005. Besonders einfache, niedrig entlohnte Tätigkeiten in Deutschland würden unter die stärkere Konkurrenz ausländischer Dienstleister geraten. Das drücke die Preise sowie die Löhne und führe auch dazu, dass mancher einheimische Arbeitsplatz in Zukunft wegfallen werde.

Umgekehrt würden aber andere Branchen der deutschen Wirtschaft profitieren, prognostiziert Gornig. Bei industrienahen Dienstleistungen, Montage von Fabrikanlagen, Software-Entwicklung, EDV-Schulung und anderem seien deutsche Unternehmen gegenüber ihren ausländischen Wettbewerbern sehr konkurrenzfähig. Hier könnten sie dank der Richtlinie mehr Aufträge jenseits der Grenzen an Land ziehen und auch neue Stellen einrichten, meint der DIW-Forscher. Ob der Saldo der Arbeitsplätze für Deutschland positiv oder negativ ausfalle, mag Gornig heute allerdings noch nicht einschätzen.

Insgesamt freilich, so lautet die vorherrschende Ökonomen-Meinung, führe die Liberalisierung in Europa zu mehr Wohlstand. Durch schärfere Konkurrenz sinkende Preise und zusätzlicher Handel ließen langfristig die Einkommen deutlich steigen – so wie es in Europa seit den 1950er-Jahren zu beobachten war. HANNES KOCH