Allah alaaf!

Karnevalsjecken sind eigentlich stolz darauf, dass ihnen nichts heilig ist – außer wenn bei einem Witz gleich die Botschaft brennt: Weder Islam noch Islamismus sollen dieses Jahr Thema sein

VON MARTIN REICHERT

In der muslimisch geprägten Welt gibt es keinen Karneval. Wenn einem dort der Druck zu groß wird, muss man beispielsweise nach Beirut fahren, um mal ordentlich Alkohol, Prostitution und Spielkasinos in Anspruch zu nehmen – gerade Menschen, die unter religiösen Bedingungen leben (oder dazu gezwungen sind), brauchen Sicherheitsventile: Du sollst, du musst, und vor allem: du darfst nicht. Danach geht alles wieder seinen geordneten Gang.

In den katholisch geprägten Regionen der „westlichen Welt“ übernimmt der Karneval traditionell diese Funktion. In der fünften Jahreszeit werden ansonsten geltende Regeln außer Kraft gesetzt, die Autoritäten werden verhöhnt, und der Promiskuität wird gefrönt: Helau, und danach wird brav vorösterlich gefastet.

Glaubte man in den letzen Jahren, dass der Karneval im Zuge gesamtgesellschaftlicher Liberalisierung und Säkularisierung zunehmend an ursprünglicher Bedeutung verloren habe und zum rein spaßgesellschaftlichen Volksfest mutiert sei, wird man dieser Tage eines Besseren belehrt. Repression und Religion kommen durch die Hintertür wieder herein, sei es in Form religiös unterfütterter Wertedebatten oder islamistischer Gewalttaten.

So haben sich die Karnevalisten in diesem Jahr besondere Zurückhaltung beim Thema Islam auferlegt, man möchte niemandes Gefühle verletzen. „Man sollte nicht etwas verspotten, was anderen heilig ist“, sagte Volker Wagner, Präsident des Bundes Deutscher Karneval (BDK). Auch Jacques Tilly, Wagenbaumeister und Miglied des Comitees Düsseldorfer Carneval, äußerte sich entsprechend gegenüber Spiegel Online: „Es wird keine islamkritische Satire geben. Das Thema ist einfach zu heikel.“ Tilly, der noch im letzten Jahr Kardinal Meisner als abtreibende Frauen verbrennenden Großinquisitor karikiert hatte, nannte jedoch auch den eigentlichen Grund der Zurückhaltung: „Ich denke vor allem an die Sicherheit der rund eine Million Narren, die am 27. Februar in Düsseldorf erwartet werden.“

Während der alternativen „Stunksitzung“ in Köln hatte man sich weniger ängstlich gezeigt und das Thema Karikaturenstreit aufgegriffen. „Karikatur kommt von Caritas. Und damit will man anderen auf die Sprünge helfen“, hieß es dort. Auch ein Selbstmordattentäter mit Rucksack hatte einen Auftritt.

Selbstverständlich ist „der Islam“ derzeit ein Thema, das die Deutschen beschäftigt, und selbstverständlich auch der gewaltbereite und -tätige Islamismus. Wenn seltsam kostümierte Menschen deutsche Ingenieure entführen und bedrohen, Botschaften angezündet werden und man in überfüllten U-Bahnen jeden Rucksack misstrauisch beäugt, dann macht das auf Dauer Angst.

Statt sich also einem fundamentalistischen Gefühlsstau zu unterwerfen, sollten sich die Jecken ruhigen Gewissens als Ussama Bin Laden verkleiden oder mit gefaktem Sprengstoffgürtel durch die Kölner Altstadt wanken. Gerne Arm in Arm mit jener Mehrheit der Muslime in Deutschland, die mit Islamismus nichts am Hut hat: Karneval als Karneval der Kulturen.