Elf Tore müsst ihr sein

Schalke 04 und Bayer Leverkusen treten den Beweis an, dass Spielsysteme und Taktik im Fußball völlig überbewertet sind. Nur die Verteilung der Tore war nicht wirklich fair. Schalke siegt 7:4

AUS GELSENKIRCHENMARCUS BARK

Mirko Slomka hat sich, ganz professionell, schon Gedanken um den nächsten Gegner gemacht. „Wenn die Spanier das Ergebnis lesen, glauben sie an einen Druckfehler“, sagte der Trainer des FC Schalke 04 nach dem spektakulären 7:4 gegen Bayer Leverkusen. Sollte Espanyol Barcelona, am Mittwoch der Gegner im UEFA-Cup, wirklich keinen Beobachter in der Arena gehabt haben, sei ihnen in der Landessprache versichert: Schalke siete, Leverkusen cuatro.

Es war ein Spiel, das Slomka wie alle anderen Augenzeugen als „denkwürdig“ einstufte. Es sei „einfach geil“, dabei gewesen zu sein, sagte er. Auch Levan Kobiashvili, Schalkes linker Mann in der diesmal sehr grobmaschigen Viererkette staunte beim Blick auf den Videowürfel: „So etwas kenne ich nur, wenn ich mit meinem Sohn Playstation spiele.“

Es ist davon auszugehen, dass Espanyol einen Beobachter entsandt hatte, der dem Cheftrainer Erkenntnisse über die Gelsenkirchener liefern muss. Dieser Mann wäre nicht zu beneiden, denn er müsste eine Frage beantworten, die sich nach dem torreichsten Bundesligaspiel seit 1982 stellte: Wie kann eine Mannschaft, die zuvor in 20 Spielen nur 22 Tore schoss und sich zuletzt zweimal in Folge zu einem 0:0 murkste, plötzlich sieben Mal treffen?

Selbst Schalkes Trainer wusste darauf keine Antwort. Aber Slomka ist Fußball-Lehrer, und als solcher musste er zumindest eine Erklärung versuchen. „Wir haben am Thema Handlungsschnelligkeit gearbeitet“, sagte er schließlich. Das hatte er schon am vergangenen Mittwoch nach dem torlosen Remis in Mönchengladbach angekündigt. Er schränkte aber ein: „Das geht natürlich nicht so schnell.“

Das 7:4 sollte also in erster Linie als das gelten, was es war: eine wunderbare singuläre Erscheinung, die nur alle Jubeljahre einmal vorkommt. „Das war der Wahnsinn“, sagte Gerald Asamoah, „wenn ich früher eingewechselt worden wäre, hätte ich auch drei Tore geschossen.“ So war es ihm lediglich vergönnt, sich einmal in die Liste der Torschützen einzutragen, in denen zwei Namen doppelt auftauchten: Andrej Voronin und Sören Larsen.

Voronin erzielte nach langer persönlicher Flaute zwei Treffer für eine Leverkusener Mannschaft, die sich erst nach dem x-ten Rückschlag, dem 4:6 durch den überragenden Lincoln nach 76 Minuten, aufgab. Zuvor hatte Bayer aus einem 0:3 ein 2:3 und aus einem 2:5 ein 4:5 gemacht. „Da hätte das Spiel kippen können“, gab Slomka zu. „Wir haben sicherlich einen positiven Beitrag zu einem denkwürdigen Spiel geliefert“, sagte Michael Skibbe. Dem Bayer-Trainer fiel es vielleicht auch deshalb leicht, ein mildes Urteil über seine Defensive zu fällen, weil er in Gelsenkirchen geboren wurde. Rudi Völler stammt aus Hauna. Der Sportdirektor brachte daher nur ein verkniffenes Lächeln heraus, als er sagte: „So viele Tore, wie du hinten kassierst, kannst du vorne gar nicht schießen.“

Der schwächste Mann bei Bayer stand im Tor. Wobei am Samstag mit Recht von den Beteiligten gefordert wurde, nur das Positive an der Partie zu sehen. Deshalb: Hans-Jörg Butt hat der deutschen Nationalmannschaft einen Dienst erwiesen und mit dem schlimmsten seiner vielen Fehler möglich gemacht, dass Kevin Kuranyi sein erstes Tor seit November erzielte. „Ich habe mir schon Gedanken gemacht. Das ist jetzt endlich vorbei“, sagte der Stürmer.

Noch mehr schwache Leistungen, und Mirko Slomka wäre als Trotzkopf hingestellt worden, wenn er weiter an Kuranyi festgehalten hätte. Der Trainer ließ stattdessen Larsen für Ebbe Sand beginnen. Das ist einer der rationalen Gründe für die Torflut gewesen. Larsen zeigte beim 1:0 (9.), was Handlungsschnelligkeit bedeutet. Torwartabschlag, zwei gewonnene Zweikämpfe, schneller Abschluss – Tor. So einfach ist Fußball manchmal. „Das war mein Tag“, sagte der Däne, „aber in zwei Wochen kann ich schon wieder der Idiot sein.“ Theoretisch ginge es schon am Mittwoch im Uefa Cup.