„Wir demonstrieren gegen die Urform“

Dass die Dienstleistungsrichtlinie verändert wurde, haben nicht alle Straßburger Demonstranten mitbekommen

STRASSBURG taz ■ Ein bunter Zug aus Trommlern, Trillerpfeifen-Trägern und Dudelsackspielern zog gestern in Straßburg Richtung Europaparlament. Von Trondheim in Norwegen bis Palermo auf Sizilien war Europas Arbeiterbewegung auf den Beinen. 30.000 hatte es auf der Straße gezogen, um gegen die neue Dienstleitungsrichtlinie der EU zu demonstrieren.

So bunt wie die Fahnen und Plakate waren die Meinungen, die von den Demonstrationsteilnehmern zu hören waren. Zwar hatte John Monks, der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, am Vormittag bei einer Anhörung der Linkspartei im Europaparlament gesagt, mit Exkommissar Bolkesteins Entwurf zur Öffnung der Servicemärkte habe der nun vorliegende Kompromiss zwischen Sozialisten und Konservativen nicht mehr viel gemein. Er sei „ein sehr guter erster Schritt. Wir müssten blind sein, wenn wir nicht anerkennen würden, dass enorme Fortschritte gemacht worden sind.“ Die meisten Demonstranten überzeugte das nicht.

„Ohne Richtlinie ist unser Kampf gegen Sozialabbau einfacher als mit“, erklärten zwei Deutsche von der Sozialistischen Jugend. Zwei Italiener vom „Sindicato dei Cittadini“ mit bunt gestrickten Mützen und blauen Umhängen mit Europasternen darauf versicherten, sie seien gegen die Richtlinie „en tutte le forme“ – Änderungsanträge hin oder her. Fünf Metaller aus Oberschwaben waren nach Straßburg gereist, weil sie den Druck auf die Politiker aufrechterhalten wollen. Noch seien die Verbesserungen nicht rechtskräftig.

„Wenn Ausländer bei uns arbeiten wollen, sollen sie unseren Lohn bekommen“, sagte ein Betriebsrat. Und sein Kollege aus der Qualitätskontrolle ergänzte: „Wir sind dagegen, dass Leasingfirmen für Menschen unsere Löhne und Sozialstandards kaputt machen.“

Sie seien hier, um „gegen diese Dienstleistungsgeschichte zu protestieren“, erklärten zwei junge Frauen aus einem Kölner Energieversorgungsbetrieb. Dass der Entwurf inzwischen geändert worden ist, hatten sie noch nicht gehört. „Wir demonstrieren noch gegen die Urform.“ In Straßburg, so hatten sie schon festgestellt, sei die Demo viel internationaler als die Kundgebung gegen die Richtlinie am Samstag in Berlin. Der Chef der Konservativen im Europarlament, Hans-Gert Pöttering, freute sich über den Auftrieb auf der Straße. „Das zeigt, dass in Europa endlich erkannt wird, dass das Europaparlament etwas zu sagen hat.“

DANIELA WEINGÄRTNER