Glasers fette Sau

Bauer Glaser und Metzger Graf haben einen Vertrag. Aber das Vertrauen ist wichtiger als der Vertrag „Ökoferkel“, sagt Züchter Heigl, „sind absolute Mangelware.“ Sie brauchen Platz, sie machen Arbeit

AUS DER OBERPFALZ JOHANNES GERNERT

Die fette Sau wankt aus der Waage. Bauer Glaser schiebt sie mit dem Knie vorwärts. Ihr Körper fällt schwer nach links und rechts. Schritt für Schritt. Am Ende des Ganges wuchtet sie sich über einen Metallsteg in den Anhänger. Im Stroh bleibt sie stehen. Volker Glaser schlägt ihr ein paarmal seinen Markierungsstempel in die Seiten. Dann schließt er die Anhängerklappe, nimmt einen Zettel und schreibt auf: 150 Kilo. Lebendgewicht.

Zwei Tage später liegt die Sau auf einem alten Betttuch im kühlen Keller der Glasers. Frauen aus dem Dorf holen die Plastiktüten mit Bratenstücken, Schnitzeln, Bratwürsten, Leberwurst, Streichwurst und Suppenfleisch ab. Zehn Kilo wiegt eine Tüte. Sieben Euro kostet das Kilo Ökofleisch. Es ist das erste Mal, dass der Biobauer Glaser und seine Frau eine Sau selbst verkaufen. Sonst haben sie sie in Schlachthäuser gefahren. Aber die Nachfrage in Unterpfraundorf in der Oberpfalz ist groß. Und Ökofleisch geht nicht nur hier gut. Etwa 30 Prozent mehr Schweine als noch im Sommer vertreibt der Verband Naturland zurzeit, in dem Glaser Mitglied ist. Vertrauen ist gut, denken die Leute, aber Kontrolle ist besser. Und Biofleisch wird doch strengstens kontrolliert, oder?

Volker Glaser hätte lieber mehr Vertrauen und weniger Papierkram. „Ein Wort“, sagt Glaser, „gilt, ohne dass man einen Vertrag unterschreibt. Mir is’ des Wort wichtiger, als wenn ich fünf Zettel Papier hab.“ Tatsächlich sind es nicht fünf Zettel, sondern sechs Ordner, die Glaser aus dem Büro in die Küche schleppt, wenn einmal im Jahr der Ökokontrolleur kommt.

Bei Anton Graf war er schon. Graf ist vor allem Ochsenbrater, so steht es auf seiner grünen Mütze, und nebenbei ökozertifizierter Metzger. Er hat die Ökosau der Glasers mit Strom betäubt und auf die weißen Kacheln ausbluten lassen. Er hat sie in der Brühmaschine enthaart und ihre Borsten abgeflammt. Dann hat er sie an zwei Haken aufgehängt und in der Mitte durchgeschnitten. Aus 150 Kilogramm Sau sind so 90 Kilo Wurst und Fleisch in Plastiktüten geworden.

Wenn der Ökokontrolleur kommt, muss Graf ihm zeigen können, dass der Inhalt der Tüten, die Jutta Glaser am Samstagmorgen mit dem grünen Jeep bei ihm abgeholt hat, genau die fette Sau war, die ihr Mann zwei Tage zuvor aus dem Anhänger in den kleinen Nebenraum der Metzgerei getrieben hat. Anton Graf hat also sechs Ordner über den Kirschholzboden an den großen Küchentisch getragen, um dem Kontrolleur mit Lieferscheinen, Schlachtlisten, Auslieferscheinen und Ökogewürzrechnungen zu beweisen, dass er sein Zertifikat verdient. Dann sind sie nach unten und haben die Kühlkapazitäten und die Wannen fürs Fleisch gecheckt.

Volker Glaser vertraut Anton Graf, sagt er. Sie haben einen Verarbeitervertrag unterschrieben. Aber das Vertrauen ist ihm wichtiger als der Vertrag. So wie Volker Glaser dem Metzger Graf vertraut, kann der Verbraucher dem Ökobauern Glaser vertrauen. Dass sagt der Ökobauer Glaser nicht so, aber wahrscheinlich denkt er es.

Vor acht Jahren hat Glaser seinen Bauernhof zum Biobauernhof gemacht. Immer wieder hatte er seine beiden kleinen „Buam“ vorher warnen müssen: „Geht da weg, des is’ giftig.“ Und wir essen das, dachte Glaser. „Da hat’s bei mir knacks gemacht.“ Jetzt wird nicht mehr gespritzt, gebeizt und es gibt keinen Mineraldünger mehr. „Der Große ist immer ganz stolz, wenn er sagen kann, er ist ein Ökobauer.“ Volker Glaser handelt aus Überzeugung. Man brauchte ihn eigentlich nicht zu kontrollieren. Wenn er etwas macht, sagt er, macht er es richtig.

Das ungespritzte Getreide wächst hinterm Stall. Die Schweine können ihr Futter beim Wachsen beobachten, während sie draußen in der Koppel den Dreck durchwühlen und im großen Bogen auf den Boden pinkeln. Irgendwann werden die geschredderten Körner aus der Ad-libitum-Füttermaschine in kleine Tröge rinnen, wo die Tiere sie per Schnauzendruck mit Wasser mischen. Ganz nach Belieben. „Manche mögen es eher trocken“, sagt Glaser, „manche mögen es nasser.“

Die Zusatzmineralstoffe lagern in Säcken in der Scheune gegenüber. Kalzium und Phosphor, geprüft von der Ökokontrollstelle Esslingen nach der Verordnung EWG 2092/91 „über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel“. Wenn der Ökokontrolleur den Betrieb mit der Nummer 93016L und seinen 160 Schweinemastplätzen besucht, schaut er die Rechnungen und Lieferscheine genau an.

„Ökokontrolle ist eigentlich immer noch eins drauf“, findet Volker Glaser. Sein Hof wird nicht nur vom Institut für Marktökologie in Konstanz überprüft, sondern auch vom Landwirtschaftsamt. So wie jeder konventionelle Betrieb. Wenn dem Ökokontrolleur etwas auffällt, was der Prüfer vom Landwirtschaftsamt übersehen hat, meldet er das. „Du musst halt immer schaun, dass du alles sauber beieinander hast“, sagt Glaser. Er verbringt jetzt mehr Zeit im Büro als früher, aber nicht weniger auf dem Feld. Und er ärgert sich ein bisschen öfter.

Einmal war ein ziemlich junger Kontrolleur da, der hat recht viel und freundlich gelacht und so einiges aufgeschrieben. Ein paar Wochen später kam der Prüfbescheid, da standen allerhand Dinge drin, die nachweislich nicht gestimmt haben. „So ein’ Bescheid kriegst du immer freitags“, sagt Glaser. „Woast, warum? Dass dich des Wochenend ärgern musst.“ Er hat beim Prüfinstitut angerufen und die Sache geklärt. Der Kontrolleur hatte zu scharf kontrolliert, nach Vorgaben, die es so gar nicht gab. „Wennst so an erwischst, des is, wie wenn du an Computer hast, der scho mit Windows 2016 läuft.“

Nach der Kontrolle, die ihn jährlich mehr als 500 Euro kostet, bekommt Glaser ein Ökozertifikat – befristet für ein Jahr. Das leitet er dann weiter an Metzger und Schlachthöfe. Stimmt etwas mit seinen Schweinen nicht, muss er sofort allen Bescheid sagen.

Ein Ökoschwein, das zweimal mit Medikamenten behandelt wurde, ist kein Ökoschwein mehr. Volker Glaser hat seinen Schweinen auch schon Tee gegen Husten verabreicht. Er achtet darauf, dass es ihnen gut geht. Wenn er in den Stall kommt, pfeift er, dass sie ihn erkennen, sonst erschrecken sie sich. Zum Schlachten fährt er sie immer selbst. Er hat mal einen Transporteur beauftragt. Aber man weiß dann doch nicht, sagt er, ob die Schweine von dem geschlagen werden. Wenn Glaser nach zwei Stunden Fahrt zum Schlachthof seine Anhängerklappe öffnet, dann schlafen die Tiere meist. Ganz friedlich.

„Die Schweine“, sagt Volker Glaser, „sollen auch a schöne Zeit ham. Die Zeit ist halt kürzer als beim Menschen. Aber so lang wir s’ ham, soll’s ihnen gut gehen.“ Dann, sagt Volker Glaser, könne man sie auch guten Gewissens essen. Es ist ihm wichtig, dass er weiß: „Auch beim Hubert ist’s ihnen gut gegangen.“

In Hubert Heigls Abferkelstall ist einmal als Ferkel geworfen worden, was jetzt verwurstet in 10-Kilo-Tüten lagert. Als die fette Sau noch klein war, so um die 28 Kilo, hat Volker Glaser sie mit 39 anderen Ferkeln zusammen in seinen Anhänger getrieben und die sieben Kilometer von Eichkreith nach Unterpfraundorf gefahren. 600 bis 700 Ökoferkel werfen die 50 Sauen auf dem Heigl-Hof jedes Jahr. Weit mehr als die Hälfte landet in Glasers Stall.

Hubert Heigl macht die Tür zum ersten Verschlag auf. Rotes Licht fällt auf zehn Ferkel, die sich in der fußbodenbeheizten Ecke wärmen. Regungslos und riesig liegt die Ökozuchtsau daneben und okkupiert so ein Viertel der siebeneinhalb Quadratmeter Stall. Draußen hat sie noch einmal fünf Quadratmeter. Sie bewegt sich hier frei. Eine konventionelle Zuchtsau wäre in einem Kastenstand fixiert und könnte nicht vom Ruhebereich in den Fressbereich gehen und von dort nach draußen. Eine konventionelle Sau würde durch die Spalten im Stallboden scheißen. Man müsste nicht zweimal in der Woche ausmisten. „Ökoferkel“, sagt der studierte Landwirt Heigl, „sind absolute Mangelware.“ Sie brauchen Platz, sie machen Arbeit.

Auch Heigl führt sechs Ordner, in denen er festzuhalten hat, wo er das Kartoffeleiweiß, den Sojakuchen und die Mineralstoffe einkauft, die er an die Ferkel und die Sauen verfüttert. Dort ist sogar nachzulesen, was der Lastwagen transportiert hat, bevor er das Futter zu den Heigls brachte – die letzten drei Ladungen. „Wir wollen ja dokumentieren, dass wir sauber arbeiten“, sagt Hubert Heigl.

Eine „immense Investitionsbereitschaft“ sei damit verbunden, „eine moderne Zuchtsauenhaltung in besonders artgerechten Systemen“ zu betreiben, hat der bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller (CSU) gesagt, als er den Heigl-Hof im vergangenen Jahr während einer „Pressefahrt zur artgerechten Schweinehaltung“ besuchte. Vielen Züchtern fehlt diese immense Bereitschaft.

Deshalb konnten Mastbetriebe vor einigen Jahren noch konventionelle Ferkel kaufen und sie dann mit Ökofutter zu Ökoferkeln mästen. Das geht heute nicht mehr. Der schwarze Eber allerdings, den Heigl gegen den Holzbock rammeln lässt, um ihn „abzusamen“, ist als gewöhnlicher Eber geboren worden. Dann hat man ihn zum Ökoeber gefüttert. Weil es zu wenige Ökoferkelzüchter gibt, gibt es keine Ökoeberaufzucht. Die Ökosauen aber stammen alle von hier, damit „man das Ganze möglichst geschlossen hält“. Das Ganze – das ist das kontrollierte Leben jedes einzelnen Schweines hier. Vom Rotlicht der Heigl- schen Abferkelverschläge über den Stall des Ökobauern Glaser bis zum Ökometzger Graf. Wo es sein Ende findet.