kuckenseam
: „Sweet Sixteen“ von Ken Loach

Im Januar wurde der 8. Bremer Filmpreis an den britischen Regisseur Ken Loach verliehen, und das Kino 46 zeigt schon seit Ende letzten Jahres die bekanntesten seiner Filme. Wie nötig solch eine Werkschau ist, wird deutlich, wenn man sich dessen bewusst wird, dass sein vorletzter Film, der als einer seiner Besten gilt und 2002 auch einen deutschen Verleih fand, dennoch bisher in keinem Bremer Kino zu sehen war. So erlebt ?Sweet Sixteen`` erst in dieser Woche seine hiesige Erstaufführung.

Wenn man sich, wie gerade in Bremen möglich, mehrere Filme von Loach nacheinander ansieht, bemerkt man die Qualitäten und Mankos seines Stils. Immer dann, wenn der streitbare und linke Filmemacher versucht, politisch schwere Stoffe wie den spanischen Bürgerkrieg in ?Land and Freedom`` oder die Revolution in Nicaragua in ?Carla¥s Song`` zu stemmen, verfällt er ins Predigen und verklärt seine Figuren zu romantischen, proletarischen Helden. In seinen gelungenen Filmen bleibt er dagegen ganz nah an seinen Protagonisten - an den Gleisarbeitern in ?The Navigators``, dem trockenen Alkoholiker in ?My Name is Joe`` und dem 15-jährigen Liam in ?Sweet Sixteen``. Der Filmtitel ist voller bitterere Ironie, den der Sohn einer Drogenabhängigen, der in der schottischen Hafenstadt Greendock lebt, hat ganz bestimmt kein ?süsses`` Leben. Und doch sieht man ihn in den ersten Bildern des Films mit einem Strahlen in den Augen lächeln. Nachts sitzt er mit seinen Freunden auf einem Hügel und zeigt ihnen in seinem Teleskop den Sternenhimmel. Dies wird die einzige idyllische Szenen des Films bleiben, doch wir haben Liam einmal als fröhlichen und sanften Jungen erlebt, und wissen nun, um was für eine Jugend der Teenager betrogen wird. Dieser wird von seinem Großvater und dem Freund seiner Mutter bei Drogengeschäften eingesetzt. Seine Mutter sitzt im Gefängnis, und als er sich weigert, ihr durch einen Kuss beim wöchentlichen Besuch Heroin in den Mund zu schieben, wird er von den beiden Männern grausam verprügelt. Liam zieht zu seiner Schwester Chantelle und rächt sich, indem er das Drogenversteck der beiden plündert und zusammen mit seinem Freund Pinball selber auf den Straßen Heroin verkauft. Dabei kommt er dem Drogenbaron des Viertels in die Quere, doch dieser ist beeindruckt von der Intelligenz und Kühnheit des Jungen und rekrutiert ihn als seinen Handlanger. Loach zitiert ironisch Scorsese, wenn etwa der Gangsterboss den Jungen unter seine Fittiche nimmt wie in ?Good Fellows`` oder wenn Liams Freund ?Pinball`` genauso tollwütig und unberechenbar ist wie Harvey Keitel in ?Mean Streets``. Doch stilistisch ist der Regisseur ein getreuer Erbe des italienischen Neorealismus, indem er seine Filme ganz aus dem jeweiligen Milieu erwachsen lässt. Seine Filme wirken so authentisch, weil sie auf langen Recherchen im sozialen Umfeld basieren, fast ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht werden und Loach oft Laiendarsteller einsetzt. So entdeckte er den 17jährigen Martin Compston, der den Liam mit einer ganz erstaunlichen Natürlichkeit und Komplexität spielt, bei einem Casting in dessen Schule. Michelle Coulter, die ähnlich glaubwürdig und intensiv seine Mutter verkörpert, arbeitet mit Süchtigen und hatte bis dahin noch nie auf einer Bühne oder vor einer Kamera gestanden. Loach verzichtet diesmal ganz auf direkte Schuldzuweisungen - er zeigt auch weder hartherzige Sozialarbeiter noch engstirnige Strafbeamte - statt dessen hat man das Gefühl, die Gesellschaft habe Liam, seine Schwester und seine Freunde längst abgeschrieben. So alleingelassen hat er keine Möglichkeit, Auswege zu erkennen und auszubrechen, und so wird er immer mehr zum Gefangenen eines Systems, das keine Gnade kennt. Während Liam zum Beginn des Films den Polizisten noch Streiche spielt und einem von ihnen den Schutzhelm klaut, wird der Grundton des Films immer düsterer. Trost kann zum Schluss nur das Abschiedsbild geben, das Liam alleine am Strand zeigt. Genau so ließ auch Francois Truffaut seinen ersten Film über den jungen Antoine Doinel ?Sie küssten und sie schlugen ihn`` enden. Wilfried Hippen