„Mein Gott, findet’s selbst raus“

Wenn „Neun Szenen“ (Perspektive) eine Botschaft hat, dann diese. Dietrich und Anna Brüggemann haben neun Generationenkonflikte verfilmt

INTERVIEW DIETMAR KAMMERER

taz: Herr Brüggemann, Sie haben bereits bei Kurzfilmen und Musikvideos Regie geführt. „Neun Szenen“ ist Ihr erster Spielfilm. Was war für Sie neu?

Dietrich Brüggemann: Der Unterschied liegt vor allem im Drehbuchschreiben. Bei einem Kurzfilm kann man sich mit einer guten Idee über die Runden retten – wenn das zehn Minuten rockt, dann ist es gut. Aber bei einem Langfilm muss es irgendwie menschlich zur Sache gehen. Menschen interessieren sich ja für Menschen, für Schicksale und für Emotionen.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit am Drehbuch organisiert? Haben Sie die Figuren untereinander aufgeteilt?

Anna Brüggemann: Eigentlich habe ich kein einziges Wort geschrieben. Alle Figuren haben wir zusammen entworfen, alle Szenen und Settings, alle Bögen haben wir beide besprochen …

Dietrich: … der Gang der Geschichte, alles was passiert, ist in langen gemeinsamen Sitzungen entstanden …

Anna: … und nur das geschriebene Wort ist von Dietrich.

Wie entstand der Einfall, einen Film in neun gleichlangen Einstellungen zu drehen?

Dietrich: Diese Idee war zuallererst da. Neun mal zehn Minuten fand ich ein ideales Format. Das entlastet einen total beim Schreiben. Wenn man sich vornimmt, immer genau auf zehn Minuten zu kommen, fällt schon viel anderer Ballast weg, an dem man sonst denken müsste.

Anna: Dann haben wir uns überlegt, wo möchte man denn gerne zehn Minuten lang hingucken, was kann so interessant sein? Da sind wir schnell auf das Zwischenmenschliche gekommen.

Den Film durchzieht der Konflikt der Jungen mit der Elterngeneration. Magdalena kommt mit den libertären Ratschlägen der Mutter ihres Freundes nicht zurecht. Stattdessen fordert sie ein Bekenntnis zum aufrichtigen Ja. Plädiert der Film für mehr Treue? Ist das eine Kritik der Jungen an Wertevorstellungen der 68er?

Anna: Jein. Magdalena ist unglaublich genervt von dieser schwammigen Haltung um sie herum. Als Gegenreaktion meint sie, verdammt nochmal, man muss auch einmal deutlich Ja sagen können. Ich würde ihr da zustimmen. Trotzdem sind wir beim Schreiben darauf gekommen, dass jede der Figuren durch ihre eigene Biografie auch im Recht ist.

Dietrich: Selbst wenn manche Blödsinn reden, haben sie nicht zwangsläufig Unrecht. Das Problem von Julians Mutter ist, dass sie sich ihr Scheitern nicht eingestehen wird, dass sie nie sagen kann: In meinem Leben ist was grundlegend schief gelaufen. Sondern immer alles mit Harmonie zukleistern möchte, weil sie ihren Glauben daran, dass das Leben an sich gut gemeint ist, nicht verlieren möchte. Was ja wieder recht sympathisch ist. Es endet aber damit, dass sie der jungen Generation fürchterlich auf die Nerven geht.

Wie verstehen Sie die Reaktion von Magdalena?

Anna: Sie muss sich freikämpfen von diesem ganzen „Was sind wir alle nett“-Gerede. Wenn sie das getan und ihre Position gefunden hat, findet sie auch die Ruhe, eine Frau wie Julians Mutter zu verstehen. Aber noch ist sie da zu stürmerisch und drängerisch. Ob das schon ein Plädoyer zum Treusein ist? Ich persönlich würde das immer tun, aber im Film ist das wohl nicht so gemeint.

Dietrich: Der Film will sowieso nichts predigen. Er sagt eher: Mein Gott, findet’s selbst raus. Man könnte auch den Jugendlichen vorhalten: Leute, werdet erst mal so alt wie eure Eltern und schaut euch dann nochmal an. Klar, wir machen uns zum Teil auch lustig darüber. Aber andererseits ist der Film der Versuch, diese Dinge einfach darzustellen, Menschen in ihrer Individualität aufeinander prallen zu lassen.

Und bei Ihnen? Sind Sie beim Drehbuchschreiben aufeinander geprallt?

Dietrich: Wie war das, waren wir uns immer einig?

Anna: Dietrich fand das, was ich gesagt habe, manchmal zu harmonisch und zu menschelnd. Mir war das, was er gesagt hat, oft zu absurd. So haben wir ein gute Mischung gefunden, indem wir beides hatten. Krach oder Streit gab es nicht, wir haben einfach ziemlich schnell und viel miteinander geredet.

Dietrich: Auch wenn wir einmal nicht einer Meinung waren, haben wir uns gut verstanden. Streit entsteht erst, wenn man aneinander vorbeiredet.

Komisch, denn vor kurzem stand in Neon zu lesen, dass Geschwister immer nur in Konkurrenz oder in Hassliebe miteinander verbunden sind.

Anna: Den Artikel haben wir zusammen im Zug gelesen …

Dietrich: … auf der gemeinsamen Reise zu Mama und Papa …

Anna: … aber überhaupt keine Rückschlüsse auf uns gezogen.

Dietrich: So ist das mit solchen Artikeln: Einen Monat später kann man sich an nichts mehr davon erinnern.

Anna, war es schwer für Sie, von der Drehbuchautorin in die Rolle einer Schauspielerin zu wechseln? Konnten Sie sich zurückhalten, nicht auch bei der Regie mitzureden?

Anna: Ja, total. Nicht wahr, ich hab mich völlig rausgehalten?

Dietrich: Nachdem das Drehbuch einmal stand, war ich auch kein Autor mehr, sondern der Regisseur. Ich kleb dann auch nicht mehr am Text. Wir haben uns für jede Szene am Set zwei Tage Zeit für Proben genommen. Da ist viel vom ursprünglichen Text gekürzt worden, wodurch das Drehbuch dramaturgisch in Schwung kam. Das passiert sonst erst beim Schnitt, aber schneiden durften wir ja nicht.

„Neun Szenen“. Regie: Dietrich Brüggemann. D 2006, 105 Min. 19. 2., 21 Uhr CinemaxX 3