„Ich habe nichts gegen Exzellenz“

Ein Sozialist bewundert teure US-Universitäten. Vom amerikanischen Bildungssystem kann sich das sozial undurchlässige Modell in Deutschland eine Scheibe abschneiden, sagt Linkspartei-Fraktionschef Stefan Liebich

taz: Herr Liebich, die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses besuchten kürzlich Universitäten in Kalifornien. Wie war die Reise?

Stefan Liebich: Sehr anstrengend und sehr lehrreich. Wir lernten an fünf Tagen die ganze Bandbreite der amerikanischen Hochschullandschaft kennen: Wir besuchten die private Elite-Uni Stanford, die staatliche Vorzeige-Uni Berkeley, die Massenuni San Francisco State University und das städtische Community-College von San Francisco.

Welche Anregungen nehmen Sie aus den USA mit?

Mich hat besonders der Besuch am Community College beeindruckt. Diese Einrichtung ist in Deutschland unbekannt, eine Mischung aus Volkshochschule, Abendschule, Berufsausbildung und Sprachinstitut. Dort können sich Menschen ohne Schulabschluss bis zum Hochschulabschluss weiterbilden, ganztags oder abends, für sehr wenig Geld. Hier scheint ausnahmsweise mal ein Ausspruch von George W. Bush, nämlich „No child will be left behind“ in der Praxis Wirklichkeit zu werden! Von dieser sozialen Durchlässigkeit können wir uns in Deutschland eine Scheibe abschneiden.

Ist das Modell der US-Elite-Uni genauso nachahmenswert?

Das amerikanische Uni-System ist sozial viel gerechter, als ich bisher angenommen habe: Eine Elite-Uni wie Stanford verlangt zwar 30.000 Dollar Studiengebühren pro Semester, aber trotzdem haben alle, egal aus welcher Schicht, die Möglichkeit, dort zu studieren. Dafür sorgt ein ausgeklügeltes Stipendienprogramm. Und für die hohen Gebühren bekommen die Studenten eine gute Betreuung und eine gute Mittelausstattung geboten. Die Uni wird dort viel stärker als Dienstleistung angesehen.

Das klingt jetzt, als seien Ihnen Studiengebühren fast schon sympathisch.

Nein, absolut nicht. Ich betrachte das amerikanische System mit einer gewissen resignativen Anerkennung. Die stillschweigende Übereinkunft, dass drei Prozent der Unis im Ranking als Elite gelten und der Rest nichts wert ist, finde ich weiterhin inakzeptabel. Die Schlussfolgerung aus den amerikanischen Gegebenheiten lautet doch: Was nichts kostet, ist nichts wert. Das will ich auf die Berliner Hochschullandschaft keineswegs übertragen. Ich werde weiterhin dafür kämpfen, dass das Studium bei uns ein Recht für alle bleibt – ohne Studiengebühren.

Einige Bundesländer wie Bayern haben Studiengebühren eingeführt. Drängen nun nicht alle nach Berlin, wo die Lehre noch umsonst ist, so dass die Studiengänge überfüllt sind und die Qualität der Lehre sinkt?

Diese Gefahr ist natürlich da. Zu gegebener Zeit muss man dann sehen, dass man so eine Entwicklung rechtzeitig stoppt. Etwa durch einen Vorteilsausgleich zwischen den Ländern.

Gegenwärtig wird allseits über Exzellenz-Universitäten debattiert. Droht nicht schon längst eine Amerikanisierung der Berliner Hochschulland- schaft?

Ich habe nichts gegen Exzellenz an sich. Die gezielte zusätzliche Förderung einzelner Forschungsvorhaben und interuniversitärer Projekte halte ich für nötig und sinnvoll. Die Besinnung auf individuelle Profile hat den drei Berliner Universitäten ganz bestimmt nicht geschadet. Aber es wäre falsch, vor lauter Spitzenförderung das Ziel einer qualitativ hochwertigen breiten Bildung aus den Augen zu verlieren: Bevor man also jetzt anfängt, in Berlin lauter Stanfords und Berkeleys zu errichten, sollte man erst ein paar Community Colleges schaffen, die mehr Bildung in der Breite ermöglichen.

INTERVIEW: NINA APIN