Mörderische Illusionen

23-Jähriger wegen Totschlags zu 11 Jahren Haft verurteilt. Leiche des Fabrikantensohns fehlt

Fehlt die Leiche, „weil man daran vermutlich einen Mord nachweisen könnte“?

AUS FRANKFURT AM MAIN HEIDE PLATEN

Zu 11 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilte die 21. Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts gestern Mittag den 23-jährigen, ursprünglich wegen Mordes angeklagten Jens A.

Das Urteil ist damit gesprochen, die Tragödie für die Familie des Opfers nicht beendet. Die Leiche von Andreas Grimm (27) bleibt verschwunden. Er könne, hatte der Angeklagte, der die Tat zu Prozessbeginn im September 2005 gestand, dazu „aus familiären Gründen“ keine Aussage machen. Gestern forderte Vorsitzender Richter Klaus Drescher Jens A. noch einmal auf, in sich zu gehen und der Familie Grimm endlich „einen Ort der Trauer“ zu geben. Die, erklärte die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Eva Dannenfeld, leide noch immer: „Es bleibt die Ungewissheit, es bleibt das tiefe Bedürfnis, den Sohn begraben zu wollen.“

A. hatte zugegeben, das Opfer am Nachmittag des 15. Oktober 2004 erschossen zu haben. Er habe im Zorn gehandelt, weil Grimm ein Verhältnis mit seiner Freundin Anja D. (39) gehabt habe. Er sei eifersüchtig und wütend gewesen, habe eine Pistole gegriffen, die zufällig in der Handtasche der Freundin auf dem Fensterbrett gelegen habe. Er habe abgedrückt und Grimm in den Kopf getroffen. Der sei sofort tot gewesen.

Vier Tage nach der Tat war der Angeklagte verhaftet worden, weil die Polizei in der Wohnung eines Bekannten Gegenstände aus Grimms Besitz, die Tatwaffe, Messer und ein Beil mit Blutspuren fand, die darauf schließen ließen, das die Leiche zerstückelt wurde. A. beschuldigte zuerst unbekannte Drogendealer der Tat. Später nannte er Orte, an denen der Tote versteckt sein könnte, und löste mehrere Suchaktionen aus. Durch seine widersprüchlichen Aussagen gerieten auch Bekannte, die Freundin und seine Eltern in Verdacht.

Das Gericht folgte mangels anderer Beweise dennoch weitgehend der Darstellung des Angeklagten. Danach hatten sich Grimm und A. in Frankfurter Szenekneipen kennen gelernt und waren „gute Freunde“ geworden. Beide konsumierten große Mengen Alkohol und Kokain. Während sich Grimm das als Sohn eines südhessischen Textilfabrikanten leisten konnte, hatte Jens A. zusammen mit seiner Mutter Firmenpleiten zu verantworten – und hohe Schulden.

Die Mutter, eine Kosmetikerin mit Hang zu Höherem, stand ihm an jedem Verhandlungstag zur Seite und sagte als Entlastungszeugin aus. Sie untermauerte damit das Bild eines verwöhnten jungen Mannes, der jeden Wunsch erfüllt bekam und mit Illusionen großgezogen wurde. Dagegen hatte sich der Vater, ein Reisebürobetreiber, auch nach der Scheidung nicht durchsetzen können. Er half immer wieder mit Geld aus.

Richter Drescher wertete strafmildernd, dass Jens A. eine „enge Mutterbindung“ und deshalb „erhebliche Reifedefizite“ habe. Die Mutter habe ihn von früher Kindheit mit einem Weltbild erzogen, in dem „Schein mehr als Sein“ bedeutete. Mit ihr gemeinsam habe er „fast an Größenwahn klingende Vorhaben“ realisieren wollen – wie die Gründung einer Universität für Kosmetologie. Solche Illusionen „auf Hollywood-Niveau“ hätten bis in den Gerichtssaal hineingewirkt. Nur sei „das Drehbuch weder besonders schlüssig noch überzeugend gewesen“.

Mordmerkmale seien nicht nachzuweisen gewesen, weil unbekannt bleibe, ob das Opfer arg- und wehrlos war. Auch ein Vorsatz oder eine Bereicherungsabsicht sei nicht erkennbar, weil die Spurenbeseitigung erst nachträglich und dilettantisch begonnen worden sei. Eifersucht sei „das naheliegendste Motiv“, der „Vertrauensbruch des Freundes Mitursache“. Erschwerend wertete die Kammer, dass A. zuerst Dritte beschuldigt hatte.

Rechtsanwalt Steffen Ufer forderte für seinen Mandanten für die „in höchster Erregung“ unter Drogeneinfluss begangene Tat eine Freiheitsstrafe unter 10 Jahren. Er hatte sich auf unbekannte Helfer kapriziert, die der Angeklagte schützen wolle. Er verdächtigte den aus Jordanien stammenden Vater und dessen „arabische Connection“ aus einem „anderen Kulturkreis“, in dem aufgrund „anderer Rechtsvorstellungen“ Nebenbuhler schon mal verschwänden.

Zur Tat sei es gekommen, weil A. ein Temperament habe, das „vielleicht auch durch den orientalischen Vater“ genetisch bedingt sei. Außerdem trügen das Opfer und A.s Freundin erhebliche Mitschuld. Er habe die Frau geliebt und sei ihr „hörig“ gewesen, während sie sich berechnend mit dem reichen Grimm eingelassen habe: „Sie ist diejenige, die die Tragödie mit ihrem Seitensprung ausgelöst hat.“

Die Staatsanwaltschaft hatte sich im Lauf des Verfahrens von der Mordanklage verabschiedet. Staatsanwältin Silke Schönfleisch-Backofen forderte stattdessen 14 Jahre Haft wegen Totschlags. Es sei zwar nicht auszuschließen, aber eben auch nicht zu beweisen, dass A. die Tat geplant habe, um sich zu bereichern. Der Darstellung, dass Grimm den Streit provoziert habe, glaube sie nicht: „Was der Grund für die Schussabgabe war, wissen wir bis heute nicht.“ Die Leiche sei möglicherweise fortgeschafft worden, „weil man daran vermutlich einen Mord nachweisen könnte“. Die Nebenklage hielt an dem Mordvorwurf fest. Nebenklage und Verteidigung hatten gestern noch nicht entschieden, ob sie das Urteil akzeptieren.