Kirchen diskutieren über Politikfähigkeit

Gestern ging in Brasilien die 9. Vollversammlung der nichtkatholischen Kirchen zu Ende. Der gemeinsame Nenner zwischen den Mitgliedskirchen wird kleiner. Der Umgang mit der Globalisierung spaltet Kirchenvertreter aus Norden und Süden

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Nach dem gestrigen Abschluss der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) mit seinen gut 340 nichtkatholischen Mitgliedskirchen gehen die Bewertungen so weit auseinander wie das Spektrum der rund 4.000 TeilnehmerInnen aus aller Welt.

Während die schwulen und lesbischen Gläubigen der „Metropolitan Community Church“ in der Kapelle der Päpstlich-Katholischen Universität von Porto Alegre einen Gottesdienst feierten, beklagte der russisch-orthodoxe Bischof Hilarion Alfejew aus Wien die „immer tiefer werdende Kluft“ zwischen Traditionalisten und liberalen Protestanten: „Wir stehen auf derselben Seite wie die Katholiken und dürfen das strategische Bündnis mit ihnen nicht mehr hinauszögern“, sagte Alfejew. Für ihn steht „das Überleben des traditionellen Christentums“ auf dem Spiel.

Zuversichtlich gab sich hingegen Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel: „Die protestantischen Kirchen stellen sich hier den neuen Herausforderungen, und zwar ausgehend von der Lebenswirklichkeit der Völker“, sagte der argentinische Menschenrechtler der taz. Auf einem Friedensmarsch durch die Innenstadt zitierte der engagierte Katholik das Motto des Weltsozialforums: „Eine andere Welt ist möglich“. An diesen „Geist von Porto Alegre“ wollte der Weltkirchenrat anknüpfen, als er sich für die Hafenstadt als Austragungsort entschied.

Gerade beim Großthema Globalisierung zeigten sich die unterschiedlichen Positionen in Nord und Süd. Der so genannte Agape-Gebetsaufruf für eine „alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde“, der im Plenum vorgetragen wurde, liest sich wie ein Dokument des Weltsozialforums. Durch die Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger werde als „Folge imperialer Machtausübung“ die „skandalöse Armut im Süden und immer mehr auch im Norden noch verschlimmert“, heißt es da.

Ervino Schmidt vom Nationalen Rat der Christlichen Kirchen Brasiliens und die meisten seiner lateinamerikanischen Kollegen haben damit keine Probleme. „Der Begriff Imperium schockiert hier niemanden“, meinte der lutherische Pastor im Hinblick auf deutsche Delegierte, die auf die antikapitalistischen Töne mit Skepsis reagierten. Man wolle den guten Draht, den man zu Banken und Unternehmen aufgebaut habe, nicht durch Verbalradikalismus riskieren, sagte ein Bischof, der ungenannt bleiben wollte.

Für Wolfgang Huber, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat die Globalisierung „viele Gesichter“. Dazu gehöre auch, dass „Wirtschaftsbeziehungen Wohlstand fördern und Menschen eine auskömmliche Arbeit ermöglichen“, sagte der Sozialdemokrat. Der egoistische Einsatz wirtschaftlicher Macht hingegen sei „die böse Seite der Globalisierung“. Man dürfe nicht bei der anonymen Anklage der großen Industrienationen oder der Multis stehen bleiben, kritisierte der Marburger Theologe Reinhard Frieling: „Unsere Ethik muss auch politikfähig gemacht werden, sonst wird der Weltkirchenrat nicht mehr ernst genommen“.

Aufsehen erregten die 34 ÖRK-Mitgliedskirchen aus den USA mit einem offenen Brief an die Delegierten: Nach den terroristischen Angriffen vom 11. September 2001 sei Washington in „imperiale Herrschafts- und Kontrollprojekte eingestiegen“. Weil sie nicht laut genug gegen den Irakkrieg und die Zerstörung der Schöpfung protestiert hätten, seien sie mitschuldig geworden, schrieben die Kirchenoberen.