Mit den Waffen des BND

Stimmt ein US-Pressebericht, ist die rot-grüne Antikriegshaltung beerdigt. Aber auch Schwarz-Rot stünde am Pranger

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Ein Bericht der New York Times hat gestern den hiesigen Erkenntnisstand zur Rolle deutscher Geheimdienste im Irakkrieg erst einmal über den Haufen geworfen.

Demnach haben zwei deutsche Geheimdienstmitarbeiter ein Kopie von Saddam Husseins Verteidigungsplan von „einer ihrer Quellen in Bagdad“ besorgt. Dieser Plan sei auf dem Dienstweg nach oben geleitet worden. Im Februar 2003 habe ein deutscher Verbindungsmann im Golfstaat Katar, dem Hauptquartier der US-Streitkräfte unter General Tommy Franks, den Plan dem US-Geheimdienst DIA übergeben. Die Invasion in den Irak begann am 20. März 2003.

Der Verteidigungsplan sei Produkt einer Strategiesitzung Saddam Husseins u. a. mit seinem Sohn Kusai Hussein, dem Chef der „Republikanischen Garden“, am 18. Dezember 2002. Dort sei beschlossen worden, Bagdad mit mehreren Verteidigungsringen zu umgeben.

Autor des NYT-Berichts ist Michael R. Gordon, der Chef-Militärkorrespondent des renommierten US-Blattes. Er geriet laut NYT bei den Recherchen für sein bald erscheinendes Buch „Cobra II: The Inside Story of the Invasion and Occupation of Iraq“ an eine geheime Militärstudie des United States Joint Forces Command, einer Abteilung des Pentagons, von 2005. Darin gehe es vor allem um die irakische Militärstrategie, aber in diesem Zusammenhang auch um die Rolle der Deutschen. Hierzu zitiert Gordon auch einen Beamten des US-Verteidigungsministeriums: Deutschland sei dank seiner begrenzten Mitarbeit auf einer geheimen Liste der Kriegskoalitionsteilhaber als „noncoalition but cooperating“ geführt worden.

Sollte sich dieser Bericht als wahr erweisen, dürfte nicht nur die rot-grüne Regierungssaga von der Nichtteilnahme am Irakkrieg beerdigt werden. Auch die neue schwarz-rote Regierung wäre schwer erschüttert. Der jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) müsste erklären, was er als Geheimdienstkoordinator und Kanzleramtschef unter Kanzler Gerhard Schröder wusste – oder warum er es nicht wusste. Aber auch andere Großkoalitionäre müssten begründen, wie sie seit November 2005 stets behaupten konnten, es gebe zu den Aktivitäten deutscher Geheimdienste, namentlich des BND, im Irakkrieg und auch im sonstigen Krieg der USA gegen den Terror nichts Bemerkenswertes zu sagen.

So endete auch die mehrwöchige Untersuchung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) am vergangenen Donnerstag mit einem Regierungsbericht, der zwar bemängelte, das PKG sei recht spät über die Anwesenheit von BND-Agenten ab dem 15. Februar 2003 in Bagdad informiert worden. Aber ansonsten hätten die zwei vom „Sonder-Einsatz-Team“ (SET) vor allem schützenswerte Objekte wie Botschaften, Synagogen und Krankenhäuser an ihre Zentrale nach Pullach gemeldet. Von dort seien die Informationen an die USA geleitet worden. Auch militärisch wirkende Informationen hätten dem Zweck gedient, ein „Lagebild“ zu verfassen – nicht etwa dazu, Bombenziele zu definieren. Von einer Beschaffung des Verteidigungsplans steht nichts im PKG-Bericht.

Die Bundesregierung ließ gestern ihren Chefsprecher Ulrich Wilhelm erklären, der NYT-Artikel sei unwahr. Wilhelm hielt sich gegenüber der Presse dicht ans Manuskript und beantwortete auch keine sonstigen Fragen. Er sagte lediglich: Erstens sei „die Behauptung“, die beiden BND-Mitarbeiter hätten den Plan Saddam Husseins beschafft und bereits einen Monat vor Kriegsausbruch den USA übermittelt, „falsch“.

Zweitens: „Dem Bundesnachrichtendienst und damit auch der Bundesregierung“ sei bislang weder ein solcher Plan „bekannt“ noch hätten sie „Kenntnis von dem Treffen Saddam Husseins mit seinen Kommandeuren am 18. Dezember 2002“. Drittens seien „alle Berichte des Sonder-Einsatz-Teams in der Einsatzzeit vom 15. Februar 2003 bis 2. Mai 2003 Gegenstand der Unterrichtung“ im PKG gewesen. „Gegenstand konnte nicht der von der New York Times behauptete Sachverhalt sein“, weil er dem BND ja nicht bekannt sei.

Dieses Dementi konnte etwa den Grünen Christian Ströbele nicht überzeugen. Das PKG-Mitglied Ströbele hatte vergangene Woche eine abweichende Bewertung des PKG-Regierungs-Berichts veröffentlicht. Darin benannte er, wo und wann die beiden BNDler in Bagdad militärisch relevant wirkende Informationen beschafft hätten – und welche Fragen hierzu offen blieben. Diese Bewertung führte zur Entscheidung der Grünen, nun doch einen Untersuchungsausschuss zu fordern.

Ströbele sagte gestern zur taz, dass sich „auch bisher schon nicht jedes Dementi der Bundesregierung“ als wahr herausgestellt hätte. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, die Grünen sähen sich in ihrer Forderung nach einem U-Ausschuss bestätigt. Darin sei zu klären, „wie die Verantwortungszusammenhänge und wie die Abläufe“ der BND-Kooperation gewesen seien.

Ströbeles PKG-Kollege von der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, sagte, ein U-Ausschuss müsse „herausfinden, welcher Art die Verpflichtung gegenüber den USA war“. Offenbar sei die großkoalitionäre Strategie „gescheitert, über das PKG der Öffentlichkeit Fakten vorzuenthalten“. Der PKG-Experte von der FDP, Max Stadler, wehrte sich gegen den Vorwurf, er wolle einen U-Ausschuss verhindern, indem er eine Sondersitzung des PKG „noch diese Woche“ verlange. Er gehe bloß „mit Vorsicht“ an die NYT-Nachricht heran. Der FDP-Vorstand soll am Donnerstag entscheiden, ob die FDP-Fraktion die nötigen Stimmen für einen Ausschuss liefern wird.