Schwere Fehler im System

Vertrauen in die Arbeit ausländischer Geheimdienste ist unangebracht. Das zeigt der Bericht des Europarates

„Wir alle haben ein Anrecht darauf, nicht einfach zu verschwinden“, sagt Generalsekretär Davis Die Stellungnahme aus Berlin verweist auf das Grundgesetz als Maßstab allen Handelns

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

James Bond müsste vor Neid erblassen. Während er bei Heimateinsätzen unter dem strengen Blick nationaler Überwachungsgremien arbeiten und das amerikanische Recht respektieren muss, ist Europa für ausländische Agenten ein Schlaraffenland. Unbehelligt von staatlicher oder parlamentarischer Kontrolle, gehen sie in einer rechtlichen Grauzone ihren Geschäften nach, ohne strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Zu diesem Ergebnis kommt Terry Davis, Generalsekretär des Europarats in Straßburg, nachdem er die Antworten aller 46 Mitgliedsregierungen auf seine Anfrage (siehe Kasten) ausgewertet hat.

Davis stützt seine Umfrage auf Artikel 52 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Danach kann er Auskunft von Mitgliedsstaaten verlangen, wenn der Verdacht auf Verschleppung oder Folter besteht. Da der Europarat-Abgeordnete Dick Marty in seinem Bericht vom Januar deutliche Hinweise darauf gesammelt hatte, dass die CIA geheime Gefangenentransporte über Europas Flughäfen und europäischen Luftraum abgewickelt hat, wollte Davis von den Mitgliedsstaaten wissen, welche Sanktionen ihre nationalen Gesetze für einen solchen Fall vorsehen. Ergebnis: Während die Arbeit der eigenen Geheimdienste in den meisten Mitgliedsstaaten sorgfältig kontrolliert wird, verfügt nur Ungarn über ein parlamentarisches Kontrollgremium, das Aktivitäten ausländischer Geheimdienste im Land überwacht. Die Rechtslage in Deutschland hält Davis für unzulänglich. Der taz sagte er: „Auch in Deutschland gibt es kaum Kontrollen. Ich lade die anderen Länder herzlich ein, sich genau anzusehen, wie es in Ungarn geregelt ist.“

Den zweiten Schwachpunkt sieht Davis im Fehlen einer Überwachung des Luftverkehrs. „Kein einziges Mitgliedsland kontrolliert die Flughäfen und den Luftraum. Das muss sich ändern, damit die Regierungen garantieren können, dass Menschenrechte nicht verletzt werden. Wir alle haben ein Anrecht darauf, nicht einfach zu verschwinden. Die Regierung ist dafür zuständig, uns alle vor solchen Übergriffen zu schützen.“

Als drittes Problem sieht der Bericht „die Beziehung zwischen Immunität und Menschenrechten“. Da Spione als Mitarbeiter von Botschaften durch ihren diplomatischen Status häufig vor Strafverfolgung geschützt seien, könnten sie ungestraft verbrecherische Akte wie Verschleppung oder Folter unter dieser Tarnung begehen. „Wir müssen klare Ausnahmen von der Immunität für Fälle festlegen, wo die Menschenrechte eindeutig verletzt werden.“

Davis fordert, dass die Mitgliedsstaaten des Europarates mit Drittländern entsprechende Abkommen schließen, damit ihre Botschaftsmitarbeiter strafrechtlich belangt werden können, wenn der Verdacht auf Folter oder Verschleppung besteht. Die Abkommen sollten auch Garantien dafür enthalten, dass sich Ausländer mit Diplomatenstatus an die Grundsätze der Europäischen Konvention für Menschenrechte gebunden fühlen.

Von den Ländern, in denen laut dem Marty-Bericht besonders viele fragwürdige Operationen beobachtet wurden – Bosnien-Herzegovina, Italien, Polen, Mazedonien und Deutschland –, hat nur die Bundesrepublik den Fragenkatalog des Europarates ausführlich beantwortet. Polens Regierung hingegen wird von Davis scharf kritisiert: „Die Antworten sind enttäuschend und können beim besten Willen nicht als der Untersuchung angemessen bezeichnet werden.“

Berlin betont, dass ausländische Nachrichtendienste in Deutschland nur mit Genehmigung deutscher Behörden tätig werden dürfen. Verhaftungen würden in Deutschland ausschließlich von deutschen Beamten durchgeführt. Was Verschleppungen angeht, schreibt Berlin lapidar: „Das Grundgesetz legt genau fest, unter welchen rechtlichen Bedingungen Menschen festgehalten werden dürfen.“ Einzige Ausnahme: „Angehörige von in Deutschland stationierten Nato-Streitkräften sind in bestimmten Fällen von den Bestimmungen des deutschen Strafrechts ausgenommen.“ Zwei Fälle würden derzeit von Staatsanwaltschaften untersucht: zum einen die Entführung des Ägypters Abu Omar aus Italien über den US-Militärflughafen Ramstein, zum anderen die Entführung des Deutschen al-Masri am Grenzübergang von Serbien nach Mazedonien.

Die rasche, ausführliche Beantwortung seiner Fragen durch die Bundesregierung wird von Davis ausdrücklich gelobt. Aber er hält die rechtlichen Bestimmungen, die Berlin auflistet, für unzureichend. „Wie garantiert man, dass der fremde Nachrichtendienst nicht die Menschenrechte verletzt? Das ist die entscheidende Frage.“ Für die Zukunft hofft er auf wirksamere Gesetze. Aber auch die Bereitschaft der Regierungen, aktiv nach Menschenrechtsverletzungen durch Dritte zu fahnden, müsse wachsen. „Europa braucht mehr Selbstbewusstsein. Gegenüber den USA hat es sich verhalten wie die sprichwörtlichen drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“