„Warum nicht engagierte Schulen belohnen?“

Wer die Lebenswirklichkeit von Kindern ausleuchtet, kann bessere pädagogische Konzepte entwicklen, sagt Havva Engin, Autorin der „Leuchtturm“-Studie. Sie plädiert dafür, engagierte Schulen mit mehr Ressourcen auszustatten

taz: Frau Engin, Sie nennen als eine Bedingung für erfolgreiche Pädagogik die Berücksichtigung des sozialen Umfelds. Ist das nicht selbstverständlich?

Havva Engin: Leider nein. Wir erleben immer noch, dass ErzieherInnen oder LehrerInnen sagen: Mit Migranteneltern rede ich nicht, solange die nicht vernünftig Deutsch können. Da besteht dann wirklich keine Verbindung mit den Elternhäusern. Während in den Einrichtungen, die wir porträtiert haben, viel Wert gelegt wird auf die interkulturelle Kompetenz, die diese Kommunikation ermöglicht.

Was heißt das?

Das heißt, dass da genau geguckt wird: Wo kommen unsere Kinder her, in welchen Lebenslagen sind sie? Ein Beispiel: Eine Kollegin macht Wortschatzübungen. Sie will an das tägliche Leben der Kinder anknüpfen und wählt Worte aus dem Bereich Wohnen: Möbel, Bett usw. Nach zwei Wochen merkt sie, dass von diesem Wortschatz nichts hängen geblieben ist. Dann besucht sie die Kinder zu Hause und stellt fest, dass viele in so engen Wohnverhältnissen leben, dass wenig Möbel oder Betten da sind. Abends werden Matratzen ausgelegt und morgens wieder aufgestapelt. Wenn ich solche Dinge über meine Schüler nicht weiß, dann kommt nichts dabei rum.

Aber heute heißt es oft, eben diese Kultursensibilität habe dazu geführt, dass Integration nicht funktioniert.

Wir reden hier nicht von falsch verstandener Toleranz. Die Lebenswirklichkeit der Kinder auszuleuchten heißt: feststellen, wo ich bei der Arbeit mit ihnen eigentlich ansetzen kann. Wer hätte gedacht, dass in einem sozialen Brennpunkt wie dem Rollbergviertel in Neukölln eine Grundschule mit einem Kunstkonzept so erfolgreich arbeiten kann? Die Regenbogengrundschule dort unterrichtet Kinder aus schwierigsten Lebensverhältnissen. Und besucht mit ihnen regelmäßig die Nationalgalerie. Das funktioniert nur, weil die Pädagogen die Lebenslagen der Kinder sehr gut kennen. Nur so können sie die Kinder gewinnen.

Reicht die gute Idee für den Erfolg?

Nein. Das ist der erste Schritt, sich zu fragen: Wer sind wir, was haben wir für eine Klientel, wo wollen wir hin? So wird das Konzept entwickelt, dann fängt erst die Arbeit an. Es dauert mindestes ein Jahr, bis man so ein Konzept umgesetzt hat – und nur, wenn die Leitung dahinter steht und das Kollegium mitzieht.

Was ja nicht immer der Fall ist. Warum eigentlich?

In einer der von uns porträtierten Kitas hat sich im Zuge der pädagogischen Umgestaltung beinahe das ganze Personal ausgetauscht. Das ist eine Frage von Belastbarkeit, neue Konzepte bedeuten erst mal viel Mehrarbeit. Und es hat etwas mit Kontrolle zu tun, mit Transparenz. Denn ErzieherInnen und LehrerInnen müssen ja offenlegen, womit sie ihre Zeit verbringen, was sie für eine Pädagogik machen. Das ist nicht für jeden angenehm.

Machen Sie dem Bildungssenator die Freude zu sagen: Mehr Engagement des Kollegiums reicht aus, die Schulen brauchen gar nicht mehr Geld?

Im Gegenteil. Diese Institutionen müssen dringend gestärkt werden. Fast alles, was sie bisher geleistet haben, haben sie mit eigenen Mitteln, eigenem Personal und eigenem Engagement getan. Es steht niemand hinter ihnen und sagt: Hier sind Sach- und Personalmittel, macht was draus. Dafür brauchen sie Anerkennung, und die muss auch in Sach- und Personalmitteln erfolgen. Warum sollten solche Schulen oder Kitas zur Belohnung nicht mal zwei Lehrer- oder Erzieherstellen mehr bekommen? Sie beweisen, dass diese mit vielen sozialen Stigmata versehenen Kinder nicht asozial oder unbeschulbar sind. Wenn man sie wertschätzt und ihnen mit Achtung begegnet, öffnen sie sich. Sie machen wirklich hervorragende Arbeit. Interview: Alke Wierth