„Wenn ich komisch bin, dann meist unfreiwillig“

Warum kommt es zumindest bei Wohnungsunternehmen nicht auf die Größe an? Erhält das Land wirklich 35 Millionen Euro vom Bund? Und was hat die Wiedervereinigung mit Singapurs Sümpfen zu tun? Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) weiß die Antworten. Nur Zahlen nennt er nicht

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Sarrazin, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Entschuldigung. Pro Amtsjahr nenne ich Ihnen einen Ihrer verbalen Schienbeintritte. Sie sagen, ob er übertrieben, falsch oder einfach komisch war.

Thilo Sarrazin: Wenn ich komisch bin, dann meist unfreiwillig.

Erstes Zitat, 2002: „Nirgendwo sieht man so viele Menschen, die öffentlich in Trainingsanzügen herumschlurfen, wie in Berlin.“

Das entsprach damals leider den Tatsachen. Mich heute dazu zu äußern, verbietet mir die Diplomatie.

2003: Berlin käme mit der „Hälfte unserer Theater und Opern“ aus.

Das habe ich anders gesagt: Man käme mit der besseren Hälfte von Theatern und Opern aus. Die Frage ist nur: Wie findet man heraus, was die bessere Hälfte ist?

2004: Die defizitären Verkehrsbetriebe ließen sich selbst für einen Euro nicht verkaufen.

Das stimmt immer noch. Die BVG ist zwar auf Sanierungskurs, aber sie wird strukturell immer ein Zuschussbetrieb bleiben.

2005 sagten Sie über die Länderfusion Berlins mit Brandenburg: „Machen wir uns nichts vor, ein gemeinsames Land besteht aus Berlin mit angeschlossener Landschaftspflege.“

Das war farbig überhöht.

Welche verbalen Klopper bringen Sie 2006? Ihre SPD-Fraktion böte sich an. Die stimmt nur widerwillig dem Verkauf von 15.000 WBM-Wohnungen zu. Ansonsten will sie möglichst alle 270.000 landeseigenen Wohnungen behalten. Sie nicht.

Bei allen Beteiligten ist eines unbestritten: Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte muss Bestände verkaufen, damit das angeschlagene Unternehmen seinen Sanierungskurs halten kann. Es gibt ein Sanierungskonzept. Dem haben die Gläubigerbanken zugestimmt, und Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer haben es überprüft.

Senat und Unternehmensleitung geben die Richtung vor, und das Parlament muss sich fügen?

Der Senat waltet in landeseigenen Unternehmen nicht nach Belieben. Die WBM ist eine GmbH, da haben Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Gesellschafter bestimmte gesetzlich vorgesehene Rollen. So einfach ist es also nicht.

Kann die WBM nach dem Verkauf der Hälfte ihrer rund 28.000 Wohnungen allein überleben?

Die WBM hat die Chance, zu einem dauerhaft lebensfähigen Unternehmen zu werden. Wenn auch deutlich kleiner als heute.

Wie viele landeseigene Wohnungen braucht Berlin?

Das kann man so oder so sehen – für einen sozial ausgeglichenen Wohnungsmarkt ist die Frage, wie viele Wohnungen der Staat besitzt, aber nicht von Belang. Das Mietniveau hängt vor allem davon ab, wie viele Wohnungen insgesamt angeboten werden, wie die Einkommen sind und wie sich die Bevölkerung entwickelt. Wohnungen staatlicher Gesellschaften sind im direkten Vergleich mit Angeboten privater Unternehmen nicht per se günstiger. Und man sollte nicht vergessen, dass der heutige Bestand öffentlicher Wohnungen nicht Folge gezielter Planung ist, sondern historisch bedingt.

All das eingerechnet, kommen die Grünen auf die Zahl von 160.000 Wohnungen. Und Sie?

Das kann man politisch entscheiden, ich nenne keine Zahl. Ich bin als Finanzsenator dafür verantwortlich, dass das Vermögen des Landes vernünftig verwaltet und angemessen verzinst wird. Wie viele Wohnungen auch immer dazugehören.

Einen Teil der WBM-Wohnungen wollen die ebenfalls landeseigenen Howoge und Degewo kaufen. Ist das nicht ein Rückschritt in die 90er-Jahre, als Bestandsverkäufe zwischen den Wohnungsunternehmen Geld für den Landeshaushalt abwarfen, aber die Firmen auslaugten?

Es gibt ein Sanierungskonzept für die WBM, das den Verkauf von 10.000 bis 15.000 Wohnungen vorsieht. Je bessere Preise die WBM für ihre Wohnungen erzielen kann, desto weniger Wohnungen muss sie verkaufen.

An wen die Wohnungen verkauft werden, ist Ihnen egal?

Für die Sanierung der WBM ist diese Frage ohne Belang.

Für die wirtschaftliche Lage von Howoge und Degewo schon.

Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

Wie viel Geld erhoffen Sie sich eigentlich von der Privatisierung der Bankgesellschaft im Jahr 2007?

Zahlen habe ich nie genannt, und das tue ich auch jetzt nicht. Das ist unbefriedigend, ich weiß.

Stimmt. Dann tun Sie mir beim Thema Haushaltsklage einen Gefallen. Sagen Sie mir, dass die lange vom Regierenden Bürgermeister geforderten 35 Milliarden Euro vom Bund unrealistisch sind. Dadurch könnten Sie viele Berliner vor einer Enttäuschung bewahren.

Das Land Berlin hat nie eine bestimmte Summe gefordert. Wir klagen in Karlsruhe darauf, so weit vom Bund entlastet zu werden, dass wir nachhaltig keine Haushaltsnotlage mehr haben.

Sind Sie aufgeregt vor der mündlichen Verhandlung Ende April?

Nein. Man sollte die Rolle der mündlichen Verhandlung auch nicht zu hoch einschätzen. Das ganze schriftliche Verfahren ist da schon gelaufen, und vieles steht schon fest.

Dank Bundeshilfen und Haushaltskonsolidierung müssen Sie also nicht mehr ausschließlich ans Sparen denken?

Mehr Geld werden wir auch dann nicht auszugeben haben. Wir brauchen wachsende Primärüberschüsse, schon um den allmählichen Wegfall der Solidarpaktmittel verdauen zu können.

Ihr Ruf als harter Hund, der auch ungefragt anderen gute Sparratschläge macht, wird Ihnen also bleiben?

Verbal halte ich mich doch immer zurück. Ich sage einfach, was nötig ist. Das werde ich auch bis zur Wahl im September tun.

Was tun Sie, wenn die Wahl verloren geht?

Wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot. Aber selbst wenn die Wahl verloren gehen sollte: Seit ich 15 Jahre alt war, habe ich nie unter Langeweile gelitten.

Schon jetzt ist es doch vergleichsweise langweilig. Noch vor anderthalb Jahren peitschten Sie einen heftig umstrittenen Haushalt durchs Parlament, und Ihnen drohte eine Anklage in der Tempodrom-Affäre.

Auf den Thrill, von Berliner Staatsanwälten verfolgt zu werden, kann ich durchaus verzichten. Und zur Opposition: Alle drei Parteien haben sich immer mehr den Maßnahmen angenähert, die der Senat angestoßen hat. In der Stadt gibt es viel mehr Sarrazin als vor vier Jahren.

Vielleicht wartet CDU-Herausforderer Friedbert Pflüger bald mit einem Haushälter auf, der Ihnen Paroli bieten kann.

Ich wäre wahnsinnig erfreut, wenn ich in der CDU ein fachlich starkes und anregendes Gegenüber hätte. Es ist auf Dauer frustrierend, wenn der inhaltliche Dialog über Haushaltsfragen mit der Opposition im Wesentlichen nur mit Grünen-Abgeordneten stattfindet.

Ihre Haltung zur Fusion von Berlin und Brandenburg formulieren Sie ja gern in ganz eigenen Worten. Die Brandenburger zieren sich seit langem, Berlin drängt. Was können Sie für die Länderehe tun?

Ministerpräsident Platzeck hat Berlins Finanzprobleme als Haupthemmnis einer Fusion bezeichnet. Wenn wir die behoben haben, werden sich damit auch viele Bedenken in Brandenburg erledigen.

Die Bedenken vieler Brandenburger haben doch weniger mit Geld als mit Mentalitätsunterschieden zu tun.

Es gehört zur Verantwortung gewählter Führer, auch inhaltlich zu führen. Sie dürfen nicht nur lauschen, was der Einödbauer im Spreewald sagt. Aber so ist Platzeck auch nicht.

Zu Wendezeiten waren Sie im Bundesfinanzministerium maßgeblich an der Währungsunion beteiligt. Danach bauten Sie die Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt auf. Langweilt Sie Landespolitik nicht?

Die größte Zeit meines beruflichen Lebens war sicher zwischen 1989 und 91. Ganz klar. Angela Merkel und Helmut Kohl werden sicher Ähnliches sagen. Da ist eben am meisten passiert.

Trauern Sie dieser Zeit hinterher?

Ein Leutnant, der im Krieg in den Sümpfen vor Singapur lag, bezeichnet später als General in den fetten 50er- und 60er-Jahren diese Zeit als seine größte. Das ist doch klar.

Sie brauchen also mehr Stress?

Für mich fühlt sich schon ein längerer Urlaub an wie ein Pharaonengrab.

Eine große Herausforderung für Sie liegt doch bereit. Bei der Föderalismusreform ist das Wichtigste außen vor geblieben: die Finanzströme zwischen Bund und Ländern. Kümmern Sie sich, Herr Sarrazin!

Ach nein. Ich gestalte auch nicht mehr den Nahostkonflikt mit.