„Neues Deutschland“ scheint vollbracht

Die Länderchefs, das Bundeskabinett und die Unionsfraktion im Bundestag votieren für die Föderalismusreform. Nur in der SPD hoffen Kritiker der Verfassungsänderung, in letzter Sekunde noch einige Punkte herauszuschinden – die Chancen sind schlecht

AUS BERLIN GEORG LÖWISCH
UND STEFAN REINECKE

Jürgen Rüttgers führt in seinem Mimik-Repertoire einen Strenger-Vater-Blick. Der Ausdruck des NRW-Ministerpräsidenten wird dann ein wenig angestrengt, die Lippen werden schmaler. So war das gestern auch, als er verkündete, alle Länder bis auf eins hätten der Föderalismusreform zugestimmt. „Das Ganze ist ein Kompromiss, aus dem nichts herausgebrochen werden kann“, sagte der CDU-Mann ungeduldig. Neben ihm stand Berlins SPD-Regierungschef Klaus Wowereit und drohte. „Jeder, der meint, dagegen zu sein, muss wissen, was dann.“

Das Spiel dauert schon ein paar Wochen. Wir müssen den größten Blödsinn unbedingt verhindern, sagen die Kritiker der Föderalismusreform. Und kurz darauf mahnen Spitzenleute von Union und SPD: Es ist der größte Blödsinn, an dem Reformwerk Einzelteile zu ändern, weil sonst das ganze Paket auseinander fliegt. Nun ist das Spiel in die entscheidende Phase gegangen, und die Frage ist, wie lange die Kritiker durchhalten – und ob sie Änderungen herausschinden.

Durch die Reform sollen die Länder weniger Gesetze des Bundestags über den Bundesrat blockieren können. Neben 15 Ministerpräsidenten – Mecklenburg-Vorpommern enthielt sich – sprachen sich gestern CDU-Präsidium, Unionsfraktion und Bundeskabinett für die Verfassungsänderung aus. Am meisten Kritik unter denen, die die Reform mittragen müssen, kommt aus der SPD-Fraktion. Sowohl bei der parlamentarischen Linken in der Fraktion als auch bei der Gruppe der Netzwerker stößt auf Kritik, dass der Bund Kompetenzen in der Bildungspolitik abgibt. Bisher sind zwar schon hauptsächlich die Länder für die Hochschulen verantwortlich, der Bund darf aber Grundsätze festschreiben. Dies soll künftig nicht mehr möglich sein. Sozialdemokraten fürchten auch, dass eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern unmöglich gemacht wird. Zuletzt hatte der Bund ein 4-Milliarden-Programm für Ganztagsschulen spendiert. Ob solche Hilfen möglich bleiben, ist zweifelhaft.

Die Netzwerker haben vorgeschlagen, dass der Bund auch künftig Geld für Bildung geben darf, wenn der Bundesrat dem „einstimmig zustimmt“. Das klingt nach einem Angebot, das niemand ausschlagen kann: Wer sagt schon Nein dazu, Geld zu bekommen, wenn er sogar vorher noch gefragt wird, ob er es wirklich haben will? Doch hier geht es offenbar um Fundamentales: um den Grundsatz, dass in der Bildungspolitik künftig Landesrecht Vorrang hat. Und das ist ein Baustein des Reformwerks.

Kritik in der SPD gibt es auch am Umweltrecht. Hier soll zwar der Bund in einem Umweltgesetzbuch eine integrierte Umweltpolitik machen können. Jedoch dürfen die Länder in den Bereichen Wasser und Naturschutz abweichen. Umstritten ist auch, dass der Bund den Strafvollzug an die Länder abgeben soll. Das geltende Strafvollzugsgesetz betont den Gedanken der Resozialisierung. Die Kritiker fürchten, dass ein Wettbewerb um den härtesten und billigsten Strafvollzug beginnt, wenn den Ländern keine Standards mehr vorgegeben werden.

Aus Kreisen der Netzwerker war gestern zu hören, dass man kaum damit rechne, bei Bildung und Umwelt Änderungen durchzusetzen. Möglichkeiten zur Nachbesserung gebe es wohl eher beim Strafvollzug.