Wiederkehr der Leindotter

Die Pflanzenölbranche braucht mehr Vielfalt. Raps allein ist auf Dauer keine Lösung. Leindotter bietet sich an. Die Pflanze war bis in die 50er-Jahre hinein eine wichtige europäische Ölfrucht. Durch Züchtung lässt sich die Qualität noch deutlich verbessern

VON BERNWARD JANZING

Der Boom des Biodiesels bringt den Rapsölanbau schon ans Limit. „Wir kommen an manchen Standorten bald an die Fruchtfolgegrenzen“, weiß Norbert Holst von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR): Die Böden beginnen zu leiden unter dem alljährlichen Rapsanbau – ein Wechsel mit anderen Früchten täte den Böden gut.

Alternativen zum Raps gibt es viele, doch eine scheint sich mehr als alle anderen anzubieten: der Leindotter, wissenschaftlich Camelina sativa genannt. „Er würde die Situation entschärfen“, ist Experte Holst überzeugt. Heute spielt die Ölpflanze aus der Familie der Kreuzblütler zwar in Deutschland kaum eine Rolle – doch sie hat Tradition: Zusammen mit Mohn und Lein war Leindotter bis in die 50er-Jahre eine wichtige europäische Ölpflanze.

Einer der Vordenker ist Ernst Schrimpff von der Fachhochschule Weihenstephan und zugleich Vorsitzender des Bundesverbandes Pflanzenöle. Ihm ist die Fixierung der Biotreibstoffbranche auf den Raps ein Dorn im Auge: „Die Ökobilanz des Leindotteröls ist wesentlich besser als die des Rapsöls“, weiß der Landschaftsarchitekt. Ein verstärkter Einsatz des Leindotters täte dem Image des Pflanzenöls gut, denn Leindotter lasse sich mit Ökolandbau hervorragend verbinden. Raps hingegen nicht.

Daher rückt die Energiepflanze nun langsam ins Bewusstsein der Landwirte. „Das geht von Bayern aus“, beobachtet Schrimpff. Im Jahr 2005 sei in Deutschland auf gut 5.000 Hektar Leindotter angebaut worden – Bayern habe daran einen Anteil von 4.000 Hektar. Aber auch Österreich komme bereits auf 2.500 Hektar Anbaufläche.

Als eine Keimzelle der Entwicklung gilt der Kramerbräuhof im bayerischen Pfaffenhofen, der seit Jahren mit neuartigen Anbaumethoden und Kulturen experimentiert. In den kleineren Betrieben Süddeutschlands sei man experimentierfreudiger als in den norddeutschen Großbetrieben, so Schrimpff. Es sind im Wesentlichen zwei Punkte, in denen der Leindotter den Raps schlägt. Zum einen ist er robust und anspruchslos, genügsam in Sachen Klima und Bodenqualität, er benötigt keinen Dünger, weist eine hohe Trocken- und Frostresistenz auf und ist wenig anfällig gegenüber Krankheiten und Schädlingen. Kurz: Der Leindotter ist ideal für einen Anbau ohne Agrarchemie. Und zum anderen benötigt er keine separaten landwirtschaftlichen Flächen. Denn Leindotter ist wie geschaffen für den Mischfruchtanbau: Die Pflanze kann zusammen mit anderen Kulturen verwendet werden, etwa mit Erbsen, Weizen und Hafer.

Das Beste: Die Erträge der eigentlichen Frucht werden nicht geschmälert, mitunter sogar erhöht. „Bei Erbsen bekommen wir durch Zusatz von Leindotter sogar 30 Prozent höhere Erträge“, hat Schrimpff beobachtet, „das ist eine typische Symbiose.“ Der Leindotter hemme das Unkrautwachstum, er fördere als Stützfrucht das Wachstum der Erbse, und er richte Erbsenpflanzen wieder auf, zum Beispiel nach einem Unwetter. Die Trennung der unterschiedlichen Früchte aus dem Mischfruchtanbau ist problemlos möglich.

Pro Hektar bringt der Leindotter zusätzlich etwa 100 Liter Pflanzenöl, was etwa jener Menge an Treibstoff entspricht, die zur Bewirtschaftung eines Hektars Ackerland notwendig ist. Die Pflanze ermöglicht also quasi einen „Null-Energie-Ackerbau“.

Allerdings gibt es noch ein massives Hemmnis: die Futtermittelverordnung der Europäischen Union. Demnach ist der Presskuchen – also der Rest der Pflanzen, der nach dem Pressen zur Ölgewinnung übrig bleibt –, nicht als Tierfutter zugelassen. Landwirte, die eigene Tiere halten, dürfen ihn zwar verfüttern, doch nicht vermarkten. Das nimmt dem Leindotter einen Teil seiner Attraktivität.

Ob das Fütterungsverbot sachlich gerechtfertigt ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Denn es gibt eine Stoffgruppe, die im Raps längst herausgezüchtet wurde, im Leindotter aber noch enthalten ist: die Glucosinolate. Aus ihnen könnten beim Verzehr im Körper Abbauprodukte entstehen, die in höheren Konzentrationen giftig seien und zu Stoffwechselstörungen führen könnten, heißt es bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig. Andererseits gelten die Glucosinolate, die auch in Kohlpflanzen reichlich enthalten sind, in der menschlichen Ernährung als sehr gesund. Kritiker glauben nun, das Fütterungsverbot entstamme allein dem Druck von der Sojalobby, da die Eiweiße und andere Nährstoffe des Leindotterkuchens dem Soja recht ähnlich sind.

Durch klassische Züchtung ließen sich die Qualitäten des Leindotters noch deutlich verbessern, ist Schrimpff überzeugt. Schließlich sei auch der heutige Raps das Produkt 30-jähriger Züchtung. So könnten auch die technischen Eigenschaften des Leindotteröls als Energieträger noch optimiert werden – wenngleich zumindest in einem Punkt das Leindotteröl dem Rapsöl schon heute überlegen ist: Es ist flüssiger und wird daher gern im Winter unter das Rapsöl gemischt. Pflanzenölexperte Schrimpff ist optimistisch: „Ich gehe davon aus, dass Leindotter massiv kommen wird.“