Volk entscheidet sich für mehr Macht

Ein breites Bürgerbündnis setzt sich für wirksame Volksbegehren auf Landesebene ein – und formuliert gleich einen Gesetzentwurf. Die Parteien sind nicht so schnell. Doch am 18. Mai soll die Verfassungsreform beschlossen werden

Wohl informierte Bürger zeigen den Politikern, wie es geht. Ein breites Bündnis von Organisationen lieferte gestern ein Idealbeispiel für funktionierende Volksbeteiligung ab – und forderte bessere Mitbestimmungsmöglichkeiten für die BerlinerInnen. „Die Hürden für Volksbegehren sind viel zu hoch. Deshalb ist kein einziges in der Berliner Geschichte zustande gekommen“, sagte Michael Efler vom Verein Mehr Demokratie.

Das Bündnis, zu dem die Humanistische Union, der Bund der Steuerzahler, Attac und die Grüne Liga gehören, legte einen Gesetzentwurf für einfachere und mächtigere Volksinitiativen, -begehren und -entscheide vor. Wenn Politiker Instrumente der Bürgerbeteiligung so strikt eingrenzten wie in Berlin, sei dies „ein Misstrauensvotum gegen die Bürgerschaft“, sagte Christoph Bruch von der Humanistischen Union. „Wir aber halten die Bürger für mündig.“

Es ist kein Zufall, dass sich das Bündnis für Direkte Demokratie (www.du-entscheidest-mit.de) jetzt zu Wort meldet. Denn die Parteien im Abgeordnetenhaus verhandeln gerade eine Verfassungsreform. Der Regierende Bürgermeister soll künftig seine Senatoren selbst ins Amt heben dürfen, und auch das Volk soll mehr Macht bekommen.

Eine große Koalition aus SPD, Linkspartei, CDU, Grünen und FDP wollen die Quoren für Volksbegehren senken und die Zeiträume für Unterschriftensammlungen verlängern. Der Zeitplan ist ehrgeizig: Schon am 18. Mai möchten die Fraktionen die Gesetzesänderung beschließen. Dann könnte die nötige Volksabstimmung zusammen mit der Wahl im September stattfinden.

Das Bürgerbündnis will inhaltlich Druck machen, die Vertreter übergeben ihren Vorschlag am Montag dem Parlamentspräsidenten Walter Momper (SPD). Wie weit gehend ihre Ideen sind, zeigt der Vergleich mit der jetzigen Verfassung. Ein Volksbegehren müsse zustande kommen, fordert das Bündnis, wenn es innerhalb von vier Monaten von 100.000 Wahlberechtigten unterstützt werde. Bisher müssen in zwei Monaten 10 Prozent der Wahlberechtigten, also 250.000, unterschreiben.

Derzeit dürfen Volksbegehren keine Themen behandeln, die den Landeshaushalt betreffen. Steuer- und Personalentscheidungen sind ebenso tabu wie die Möglichkeit, die Verfassung selbst zu ändern. Das Bündnis will alle Themen zulassen. Auch eine Verfassungsänderung müsse mit höheren Hürden möglich sein, sagt Efler. Schließlich sei sie 1995 per Volksentscheid beschlossen worden. „Heute dürfen die Berliner kein Komma daran ändern – demokratietheoretisch ist das unhaltbar.“

Neben Änderungen alter Instrumente schlägt das Bündnis auch völlig neue vor: Durch ein Fakultatives Referendum könnten 40.000 Wahlberechtigte in zwei Monaten einen Volksentscheid über ein verabschiedetes Gesetz herbeiführen. Ein Vetorecht also, mit dem sich zum Beispiel der Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften verhindern ließe. U. SCHULTE