Zu sehr alleene

Brutal überzeichnet: Michael Thalheimer inszeniert „Rose Bernd“ als beklemmende Tragödie der Vereinsamung

Die Charaktere und Handlungen sind holzschnitthaft-grob überspitzt

Ein Brüllen, zum Herzzerreißen. Wie ein Tier, das sein Junges verloren hat, stößt Katrin Wichmann qualvolle Schreie aus. So beginnt Michael Thalheimers beklemmende Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Drama „Rose Bernd“. Und das Brüllen wird sich als grausamer Grundton 90 Minuten fortsetzen.

Dabei hat Hauptmann sein 1903 uraufgeführtes Stück über die schlesische Bauerstochter so idyllisch beginnen lassen: In fruchtbarer Felderlandschaft, an einem sonnigen Morgen, vergnügen sich die „schöne, kräftige“ Rose und der „stattliche, sportliche“ Gutsbesitzer Christoph Flamm.

Bei Thalheimer bewegen sich die Akteure auf einer kahlen, abschüssigen Ebene. Mühsam krabbeln alle auf das erhöhte Quadrat, die Bühne des Lebens. Roses Vater (Peter Kurth) lässt sich von August Keil (Andreas Döhler) hinaufhieven, einem biederen Buchhalter, der die Familie finanziell unterstützt und seit Jahren um Roses Hand wirbt.

Doch die ist heimlich mit Flamm (Peter Moltzen) liiert, der wiederum seine gelähmte Frau (Anna Steffens) nicht verlassen kann oder will. Und der, wie Thalheimer schonungslos zeigt, nur an Roses Körper interessiert ist. Einen Holzklotz gibt Peter Moltzen – das Kernig-Sympathische, wie ihn Hauptmann charakterisiert, geht ihm ab. Hart reibt er Rose zwischen den Beinen, knetet er ihre Brüste. Dann wirft er sie zu Boden, spreizt ihre Beine und stößt heftig hinein.

Fast komisch ist dieser Akt im Sekundentakt. Thalheimer überspitzt die Charaktere und Handlungen ins Holzschnitthaft-Grobe, doch sie geraten nicht zur Lachnummer. Im Gegenteil. Verklemmtheit, Brutalität und Häme werden in einer Härte herausgeschält, die kein Lachen duldet. Schlimmer noch als Flamm ist der Maschinist Arthur Streckmann (Felix Knopp), der Rose erpresst und vergewaltigt. Selbst von ihrem Vater wird Rose anzüglich auf den Hintern geschlagen, und ihr Gatte in spe fasst sich nach einem ungeschickten Kuss plump in den Schritt.

Warum lässt Rose das geschehen? Katrin Wichmann gibt plausible und zeitlose Antworten. Weil sie Flamm, das zeigen ihre zärtlichen Küsse, gern hat; weil sie vor Streckmann und den tratschenden Dorfbewohnern, das zeigt ihr Zittern, Angst hat. Weil sie glaubt, und das zeigen ihre zusammengekniffenen Lippen, August gern haben zu müssen; und weil sie sich zwingt, das zeigt ihr ausdrucksloses Gesicht, eine gute Tochter zu sein. Zwischen den widerstreitenden Gefühlen, das zeigt diese packende, radikal auf den Punkt gebrachte Inszenierung, zerreibt sich Rose und zerbricht.

Verstärkt wird die Aura der Gewalt durch einen Kunstgriff: Außer Rose tragen alle zeitweise Masken. Die über den Kopf gestülpten Tüten erinnern an fanatische Morde, an mitleidlose Verfolgung von Außenseitern. In der brutalen Atmosphäre hat Rose keine Chance: „Ma is zu sehr alleene hier uff dr Erde“, sagt sie. Und tötet ihr Kind. Karin Liebe